Erfüllte Zeit

15. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Aussage Johannes des Täufers" (Johannes 1, 6 - 8. 19 - 28)

Kommentar: Veronika Prüller Jagenteufel

 

Text von Antoine Saint-Exupéry

 

"Was glauben Sie?" -

Kammersängerin Hilde Zadek

Die am 15. Dezember 1917 in Bromberg (Polen) geborene Kammersängerin Hilde Zadek zählt zu den ganz großen Sängerinnen des vergangenen Jahrhunderts. Der gefeierte Opernstar wuchs in Stettin auf, musste 1935 als Jüdin nach Palästina auswandern, wo sie das Konservatorium besuchte.

 

Durch eine glückliche Fügung kam sie zwei Jahre nach Kriegsende, 1947, nach Wien wo sie innerhalb von fünf Tagen die „Aida“ lernen und ohne Probe singen musste. Ab diesem Zeitpunkt begann ihre Karriere als lyrisch-dramatische Sängerin für Mozart-, Verdi-, Wagner- und Strauss-Rollen.

 

In Wien, Düsseldorf, Berlin und New York war die Zadek ebenso zu Hause wie in den Opernhäusern und Konzertsälen in Wien. Bis 1971 sang sie große Opernpartien und widmete sich danach ihrem 2.Traumberuf, dem der Gesangspädagogin. Ein Fach, in dem sie bis heute noch tätig ist.

 

Für die Reihe „Was glauben Sie?“ hat Johannes Kaup Hilde Zadek anlässlich ihres 85. Geburtstages nach ihren religiös-existentiellen Werthaltungen gefragt. 

 

 

Veronika Prüller-Jagenteufel

Ein Rufer in der Wüste zu sein – da denke ich zunächst an keine besonders attraktive Aufgabe, sondern eher an einen, der einsam mahnt und warnt, der an unangenehme Wahrheiten erinnert oder Schlimmes voraussieht; der nicht oder nur von wenigen gehört wird und der oft seinen Kopf hinhalten muss und nicht selten der Dummheit oder Machtbesessenheit Stärkerer zum Opfer fällt.

Ein solcher Rufer steht im Zentrum des heutigen Evangeliums als ein Wegweiser und ein Vorbild, von dem gelernt werden kann, wie Menschsein aus der Hoffnung auf Gott gelingt.

Der unangenehme Mahner als Modell gelungenen Lebens? Ja, der Johannes hat etwas Herbes und Ernstes. Auf vielen Darstellungen sieht er aus wie ein wilder Mann mit wirren Haaren und nur mit einem Schaffell bekleidet. Das Establishment seiner Zeit scheint er beunruhigt zu haben; die Behörden in Jerusalem können ihn offenbar nicht so recht einordnen und schicken eine Delegation. Sie wollen wissen, wer der ist, dieser Johannes, der in der Wüste zurückgezogen lebt und dennoch immer mehr Zuhörer hat, der zur Umkehr aufruft und tauft, als stünden große Dinge bevor.

Vielleicht hat diese Abgesandten der Geistlichen Führerschaft ja etwas von der Aufregung erfasst, die wohl viele von denen verspürt haben, die mit Neugier und Hoffnung da hinausgezogen sind, um den neuen Prediger zu hören. Aber der hat mehr und anderes zu bieten als die Befriedigung eines religiösen Bedürfnisses nach erhabenem Schauer. Er stellt gleich klar: Er ist nicht der Messias. Er widersteht der Versuchung, sich für größer zu halten, als er ist; er wiedersteht der verführerischen Frage derer, die gerne jemanden anhimmeln möchten.

Er sagt über sich selbst: Ich bin der Rufer in der Wüste, und er borgt sich damit ein Bild, das der Prophet Jesaja lange vor ihm verwendet hat. Dieser Rufer in der Wüste, der dazu aufruft, Gott die Wege zu ebnen, der ist bei Jesaja ganz und gar keine harte oder muffige Gestalt; kein Fortschrittsbremser oder gar Spielverderber. Der entsprechende Abschnitt beim Propheten Jesaja erzählt vom Trost für das Volk, von Freude über eine Zeit der Wiederkehr aus dem Exil, eine Zeit der Gerechtigkeit und des Friedens, eine Zeit voller Hoffnung.

Als dieser Rufer in der Wüste sagt Johannes den Menschen, dass mehr und anderes möglich ist als die von der großen Weltmacht vorgegebene Ordnung, die Frieden sagt und Unterdrückung ausübt; mehr und anderes als der Abschied von den eigenen spirituellen Wurzeln angesichts einer religiös vielfältiger gewordenen Gesellschaft; mehr und anderes als das Pendeln zwischen alltäglichem Trott und angestrengter Belustigung.

Johannes sagt: Gott bleibt der Verheißung treu; er sagt: der Messias ist schon unter euch. Er sagt: Es lohnt sich, diesem Gesandten Gottes den Weg zu ebnen: in der Gesellschaft, in der religiösen Gemeinschaft, im eigenen Leben. Es geht dabei nicht um unsympathische Kasteiung, sondern um trösten, sich freuen, gerecht sein und Frieden stiften.

Zu diesem Rufer in der Wüste sind nicht umsonst viele geströmt und haben sich anstecken lassen von seiner Hoffnung und seiner Freude, die ein gewisser herber Ernst nicht stört, sondern nur noch fundiert.

Johannes also als Wegweiser für gelingendes Menschsein? Zwei Anregungen für dieses Gelingen sehe ich hier: bekennen und vorausgehen. Johannes bekennt, was er nicht ist – er tritt nicht an Gottes Stelle, erliegt nicht dieser uralten Versuchung; und er bekennt, was er ist – er bekennt sich zu seiner Vorläufigkeit. "Vorläufer", so wird Johannes in der Tradition auch oft genannt. Nicht nur die Nachfolge ist also Modell gelungenen Lebens, sondern auch das Vorausgehen, Vorläufer zu sein – eben: Gott die Bahn zu ebnen, wie die Vorläufer beim Skirennen.

Das kann z.B. bedeuten: mit einem guten Gespräch den Weg bereiten, dass Vertrauen entstehen kann auf den Segen Gottes; oder: Not lindern oder Ungerechtigkeit bekämpfen, und damit Schutt abtragen und den Blick auf Gott wieder freimachen – auch wenn solche Bemühungen oft nur vorläufig und gering erscheinen mögen.

Auch Johannes weiß, dass er nur mit Wasser tauft, aber er weiß auch, dass nach ihm einer kommt, der das Große und Ganze vollbringen wird. Und dieses Wissen macht sein vorläufiges Tun sinnvoll.

Johannes strebt nicht danach, selbst Endgültiges zu vollbringen. Er geht voraus und verweist damit auf einen anderen. In einer Zeit, in der sich jeder möglichst gut präsentieren muss, in einer Zeit des Selbst-Stylings und der Self-Promotion – da wirkt dieses Einverständnis in die eigene Vorläufigkeit provokant. Es ist ja auch der Zuruf von einem, der sich dem gesellschaftlich Üblichen verweigert hat und in die Wüste hinausgegangen ist, um dort den Weg für einen anderen vorzubereiten: in aller Vorläufigkeit und doch im Bekenntnis zu der freudigen Hoffnung, dass der, der tröstet und vollendet, sicher kommt.

 

 

Antoine de Saint-Exupéry, 1900 – 1944

 

Frieden machen heißt den Stall weit genug bauen,

damit die ganze Herde darin schlafe.

Den Frieden bauen heißt von Gott erlangen,

dass er seinen Hirtenmantel herleiht,

damit wir die Menschen in ihm

in der ganzen Weite ihrer Wünsche umfangen.

Gott, leihe mit ein Stück deines Hirtenmantels,

damit ich meine Brüder

mit der Last ihrer Sehnsucht darunter berge.

Als ich heute Abend in der Einöde einherging,

begegnete ich einem kleinen Mädchen in Tränen.

Ich bog seinen Kopf zurück, um in seinen Augen zu lesen.

Und sein Kummer hat mich geblendet.

Wenn ich es ablehne, Herr,

diesen Kummer kennen zu lernen,

lehne ich einen Teil der Welt ab

und habe mein Werk nicht vollendet.

Es geht nicht darum,

dass ich mich von meinen großen Zielen abwende,

aber es gilt, dieses kleine Mädchen zu trösten.

Denn nur dann geht alles gut in der Welt.

(aus: Jörg Zink „Unter dem großen Bogen“, Kreuz-Verlag)