Erfüllte Zeit

22. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Verheißung der Geburt Jesu"

(Lukas 1, 26 - 38)

Kommentar: Veronika Prüller-Jagenteufel

 

Text von Blaise Pascal

 

 

Veronika Prüller-Jagenteufel

 

„Glauben Sie vielleicht, sie hat keinen Nasenring getragen, wie all die anderen Mädchen in ihrer Umgebung?“ Mit dieser provozierenden Frage sprach einer unserer Theologieprofessoren einen Mitstudenten an, dem es seltsam unangenehm war, sich die Gottesmutter als eine reale Frau aus dem jüdischen Volk in der römischen Provinz Palästina zur Zeit des Kaiser Augustus vorzustellen.

Gerade Maria wurde ja in der Kirchengeschichte vielfach symbolisch erhöht und ist dabei nicht selten zur Projektionsfläche verschiedenster Interessen geworden. So erscheint es immer wieder ratsam, zurückzugehen zu der Frau, von der in den biblischen Texten berichtet wird und die man getrost in den Kontext ihrer Zeit stellen darf. Das, was sie zu einem Symbol des Glaubens macht, das, was von ihr für das eigene Leben und Glauben gelernt werden kann, das gewinnt an Kraft, wenn es mit dieser konkreten Frau, von der die Bibel berichtet, verbunden wird.

Maria ist dabei gewiss die herausragendste der adventlichen Gestalten, die in den Bibeltexten dieser Tage vorkommen. Alle stellen sie Modelle gelungenen Lebens vor Augen, Maria wurde dann sogar zu dem Modell schlechthin – und zwar für alle, nicht nur für Frauen. Denn es geht um Grundhaltungen, um gelingendes Menschsein aus der Hoffnung auf Gott: Es geht nicht um Männer- oder Frauenrollen, sondern um den adventlichen Menschen, um Menschsein im Zeichen der Ankunft Gottes.

Genau dafür können alle – Frauen wie Männer – bei Maria in die Schule gehen: bei dem Mädchen mit dem Nasenring, bei der Jungfrau, von der das Evangelium erzählt: jung, verlobt, aber noch nicht verheiratet; doch schon könnte ein Fehltritt nicht nur ihre Eheschließung, sondern auch sie selbst gefährden: Würde sie sich etwa mit einem anderen als ihrem Verlobten einlassen, stünde darauf die Todesstrafe durch Steinigung.

 

Und nun überliefert uns Lukas, dass zu dieser Maria ein Engel kommt. Sein Gruß gleicht den Begrüßungen, mit denen Engel schon anderen vor ihr Botschaften von großen Aufträgen und Berufungen überbracht haben. Vielleicht erschrickt sie deshalb, weil sie die heiligen Schriften kennt und beim Hören schon weiß, dass es nun um Großes und Bedeutendes geht. Aber von Maria wird hier keine Leistung erwartet, sie bekommt keinen Auftrag im Sinne eines: geh und verkünde meinem Volk – oder: geh und befreie mein Volk.

Maria wird gesagt, dass etwas an ihr und mit ihr geschehen wird, etwas, das weit über sie hinausweist. Marias Nachfrage, wie das denn genau passieren soll, gibt dem Boten Gottes nochmals Gelegenheit zu verkünden, dass Gott das Wunder aller Wunder tut: nämlich den Messias zu schicken, selbst Mensch zu werden – und dass das damit beginnt, dass in einem Menschen, in Maria, die Kraft Gottes neues Leben schafft. Denn, so heißt es hier: Es gibt kein Geschehen, das nicht von Gottes Kraft gewirkt werden kann. Diesem Geschehen gibt sie Maria hin, wenn sie einwilligt: Mir geschehe nach Deinem Wort.

 

Im griechischen Text wird hier mit einem Wort gespielt, in dem noch die hebräische Sprachwelt durchklingt. Im Hebräischen nämlich meint das Wort Gottes zugleich Gottes Schöpferkraft – in Gottes Wort liegt diese Kraft, die hervorbringt – Wort und Tat sind bei Gott eins. Maria hört also nicht nur auf Gottes Wort, sie ist bereit, dieses Wort an sich geschehen zu lassen – und das, obwohl es nicht ungefährlich für sie war, ohne ihren Verlobten schwanger zu werden ...

Zwei Haltungen sind es, die mich an Maria hier besonders faszinieren: hören und geschehen lassen – zwei gemeinhin als passiv charakterisierte Haltungen, die damit quer liegen zu dem Zug unserer Zeit, der Aktivität fordert, zugreifen und selbst gestalten. Wer das eigene Schicksal nicht in die Hand nimmt, kommt schnell unter die Räder. Wer sich nicht laut meldet, wird leer ausgehen. Hören und geschehen lassen klingt da fast als Aufforderung, das Leben fad vorbeiziehen zu lassen.

Hören und geschehen lassen sind aber nicht nur für Macher und ständig Betriebsame eine schwierige Herausforderung, sondern auch für Faule und allzu Bequeme: Denn diese Haltungen sind zwar in gewisser Weise passiv, verlangen aber doch innere Gespanntheit und Aufmerksamkeit – höchste Aktivität, nur eben anderer Art. Darin liegt eine andere Neugier auf das Leben, die es nicht in den Griff kriegen will, sondern bereit ist, sich einer Kraft zu öffnen, die über unser Leben weit hinausgeht.

Diese Schöpferkraft Gottes geschehen lassen, auf Gottes wirksames Wort zu hören, bringt wohl keinen Geschäftserfolg, und es ist auch keine Garantie für ein unbehelligtes Dasein: Auf die Kraft des Zuspruchs Gottes zu vertrauen, braucht klare Wachsamkeit und risikobereite Hingabe. Hören und geschehen lassen sind dabei eins: entsprechend der Einheit von Wort und Tat bei Gott: Wer wirklich auf Gottes Wort hinhört, öffnet sich dem Handeln Gottes.

Hören und geschehen lassen: Haltungen eines gelingenden adventlichen Menschseins, eines Lebens im Zeichen der Zukunft Gottes – angesichts alter Geschlechterrollen heißt das für so manchen Mann vielleicht, aus einer Haltung des Zugriffs und Tuns herauszutreten, und heißt es für manche Frau vielleicht, eine Haltung der wachen Klarheit und der Risikobereitschaft einzuüben. Das Mädchen mit dem Nasenring kann dafür Ansporn sein.

 

 

Blaise Pascal

 

Die Größe der geistigen Menschen ist unsichtbar für die Könige, für die Reichen, für die Feldherren- für alle diese fleischlichen Menschen.

Die großen Geister haben ihr Reich, ihren Glanz, ihre Größe, ihren Sieg, ihr Licht und bedürfen nicht der fleischlichen Größe, weil sie sich zu ihr nicht verhalten. Sie werden nicht von den Augen, sondern vom Geiste wahrgenommen; das genügt.

Die Heiligen haben ihr Reich, ihren Glanz, ihren Sieg, ihr Licht und bedürfen nicht der fleischlichen und der geistigen Größe, mit der sie nichts zu tun haben, denn ihre Größe kann dadurch nichts gewinnen und nichts verlieren. Sie werden von Gott und von den Engeln gesehen, aber nicht von Körpern, noch von neugierigen Geistern: Gott genügt ihnen.

Jesus Christus, der keinen Besitz hat und der Welt keine wissenschaftliche Leistung geschenkt hat, steht in seiner Ordnung der Heiligkeit. Er hat uns keine Erfindung geschenkt. Er hat nicht regiert. Aber er ist demütig und geduldig gewesen, und heilig, heilig, heilig vor Gott, furchtbar für die Dämonen und ohne jede Sünde. Oh, mit welcher Herrlichkeit und mit welch wunderbarer Großartigkeit ist er gekommen - für die Augen des Herzens, welche die Weisheit sehen.