Erfüllte Zeit

26. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Aufforderung zu furchtlosem Bekenntnis" (Matthäus 10, 17 - 22)

Kommentar: Bischof Egon Kapellari

 

Text von Hildegard von Bingen

 

„Was glauben Sie?“ – David Steindl-Rast

Einer der bekanntesten Mystiker der Gegenwart ist der aus Österreich stammende und in den USA lebende Benediktinermönch Bruder David Steindl-Rast. 

 

1926 in Wien geboren, ging er nach seinem Psychologie- und Kunststudium in die USA. Im benediktinischen Reformkloster Mount Saviour widmete er sein Leben dem Gebet und der Arbeit. Nach 12 Jahren philosophischer und theologischer Ausbildung engagierte er sich mit vatikanischer Erlaubnis für den Dialog zwischen Christentum und Zen-Buddhismus. Mehrere Jahre ließ er sich in Zenklöstern in östlicher Meditationspraxis unterweisen, überzeugt davon, dass diese so unterschiedlichen Religionen sich auf einem gemeinsamen Erfahrungsgrund begegnen können. 

 

In über 100 Ländern der Erde hat Bruder David, wie er sich bescheiden nennt - Menschen in Meditation und Gebet unterrichtet. Er wird als in der Tradition tiefverwurzelter Grenzgänger gesehen, als einer, der Dualismen verbindet und überwindet - zwischen Glaube und Naturwissenschaft, Alltag und Mystik, Christlichem und Nichtchristlichem.

Gestaltung: Johannes Kaup

 

Kommentar: Bischof Egon Kapellari

 

Am Tag nach dem Geburtsfest Jesu Christi feiert die Katholische Kirche seit vielen Jahrhunderten das Fest des Erzmärtyrers Stephanus. Es ist das Gedenken an seinen Todestag, der in der Sicht christlichen Glaubens zugleich sein Geburtstag für das ewige Leben ist. Stephanus ist ein junger Toter. Er war einer von den sieben Männern aus der christlichen Urgemeinde in Jerusalem, die als Diakone einen Dienst für eine Gruppe sozial schwacher Menschen in dieser Gemeinde getan haben. Zugleich war er aber im öffentlichen Raum der Stadt Jerusalem ein unbequemer und unerschrockener Verkünder der Botschaft, dass Jesus der Christus sei, zugleich Menschensohn und Gottessohn. Diese Botschaft war eine große Provokation für viele fromme Juden in der Heiligen Stadt. Die geisterfüllte und viele begeisternde öffentliche Predigt des jungen Stephanus bewirkte, dass manche Hörer sich zum jungen Christentum bekehrten. Andere aber gerieten in einen furchtbaren und, wie sie meinten, heiligen Zorn. Sie hoben Steine auf und schleuderten sie so lange gegen Stephanus, bis er tot war. Dieser Tod war aber nur vordergründig eine Niederlage. In der Folgezeit wurde offenkundig, wie sehr der frühchristliche Apologet Tertullian Recht hatte, als er um das Jahr 200 christlicher Zeitrechnung sagte, dass das von den Märtyrern vergossene Blut der Same sei, aus dem neue Christen wachsen.

 

Der Evangelientext für die Eucharistiefeier am Stephanustag spricht eindringlich davon, dass Christus nicht nur Harmonie in die Welt gebracht hat, sondern auch Krisis, Herausforderung zur Prüfung der Geister, zur Unterscheidung und Entscheidung. Im Evangelium ist von vielen Worten und Taten Jesu Christi die Rede, die auf den ersten Blick scheinbar in hartem Gegensatz zueinander stehen. Auf den zweiten Blick aber und wenn darüber mehr nachgedacht worden ist, handelt es sich hier nicht um Widersprüche, sondern um einander Ergänzendes. Die Person und das Wirken Jesu sind einerseits eine große Einladung zur Gemeinschaft mit ihm, andererseits aber auch eine Herausforderung zur Entscheidung. Die rechte Antwort auf diese Herausforderung kann nicht ein „Jein“ sein, sondern ein Ja oder Nein.

„Christus ist unser Friede und unsere Versöhnung“, hat der Apostel Paulus gesagt. Im Evangelium sagt Jesus den Jüngern wiederholt: „Friede sei mit euch“ oder „Meinen Frieden gebe ich und hinterlasse ich euch.“ Anderswo im Evangelium stehen aber Worte Jesu wie dieses: „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ Beide Worte prägen seither die Geschichte der Christenheit. Es gibt unter ihren Heiligen die großen Frauen und Männer, in deren Umkreis es fast nur Frieden gab. So zum Beispiel Franziskus von Assisi und Mutter Teresa in Kalkutta. Und andererseits gibt es die, die kühn und umstritten, zur Entscheidung Rufenden, wie Stephanus. Diese unterschiedlichen Ausprägungen des Menschseins und Christseins stehen an ihrer Wurzel nicht in Widerspruch gegeneinander, sondern ergänzen einander. Heute ist der Stephanustag, der Tag des kühnen, jungen christlichen Bekenners, dessen Name die große Domkirchen in Wien, Budapest, Regensburg und im französischen Bourges tragen. Die Steine, die ihn erschlagen haben, sind zu Bausteinen für die Kirche geworden, für die Kirche aus lebendigen Steinen, und sie tragen immer noch.

 

 

Hildegard von Bingen

 

Die Säulen, die das ganze Erdenrund tragen, habe Ich aufgerichtet und ebenso die Windkräfte, die wiederum untergeordnete Flügel haben, sozusagen schwächere Winde, die durch ihre sanfte Kraft jenen mächtigen widerstehen, damit sie nicht zu gefährlich ausbrechen. So deckt auch der Körper die Seele und hält sie zusammen, damit sie sich nicht verhauche. Denn wie der Seele Hauch den Leib stärkt und festigt, damit er nicht dahinschwindet, so beleben auch die kräftigeren Winde die ihnen untergebenen Winde, damit sie ihren Dienst entsprechend versehen.

Und so ruhe Ich in aller Wirklichkeit verborgen als feurige Kraft. Alles brennt allein durch Mich, so wie der Atem den Menschen unablässig bewegt, gleich der windbewegten Flamme im Feuer. Dies alles lebt in seiner Wesenheit, und kein Tod ist darin. Denn Ich bin das Leben. Ich bin auch die Vernunft, die den Hauch jenes tönenden Wortes in sich trägt, durch das die ganze Schöpfung gemacht ist. Allem hauchte Ich Leben ein, so dass nichts davon in seiner Art sterblich ist. Denn Ich bin das Leben. Ich bin das ganz heile Leben: nicht aus Steinen geschlagen, nicht aus Zweigen erblüht, nicht wurzelnd in eines Mannes Zeugungskraft. Vielmehr hat alles Leben seine Wurzel in Mir. Die Vernunft ist die Wurzel, das tönende Wort erblühet aus ihr.

Da Gott nun Vernunft ist, wie könnte es geschehen, dass Er nicht am Werke wäre, Er, der doch jedes Seiner Werke aufblühen lässt durch den Menschen.

Und so diene Ich helfend. Denn alles Leben erglüht aus Mir. Das ewig sich gleichbleibende Leben bin Ich, ohne Ursprung und ohne Ende. Eben dies Leben ist Gott, stetig sich regend und ständig am Werk, das sich zeigt in dreifacher Kraft. Denn die  Ewigkeit wird „der Vater“ genannt," das Wort „der Sohn“, der Hauch, der beide verbindet, „der Heilige Geist“.