Erfüllte Zeit

29. 12. 2002, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Das Zeugnis des Simeon und der Hanna über Jesus" (Lukas 2, 22 - 40)

Kommentar: Veronika Prüller-Jagenteufel

 

Kontaktadresse Dr. Joseph Farrugia

 

Ich dein Baum – 
Ein Gedicht von Dorothee Sölle

 

Veronika Prüller-Jagenteufel

 

Heute wird in der römisch-katholischen Kirche das Fest der Heiligen Familie gefeiert. Neben Maria, Josef und dem Kind Jesus stehen im heutigen Evangelientext aber noch zwei andere Personen im Zentrum, zwei alte Menschen: Simeon und Hanna. Ich möchte den Blick auf sie lenken, denn sie gehören zu den Menschen, die in den Texten der Advents- und Weihnachtszeit als besondere Vorbilder gezeigt werden. Wie schon an den Adventsonntagen an Johannes und an Maria, so ist diesmal an Hanna und Simeon abzulesen, worauf es ankommt, wenn ich mein Leben an Gottes Kommen ausrichten möchte.

Beide sind im Tempel von Jerusalem anzutreffen – einem Ort, mit dem sich seit jeher die Hoffnung verbindet, dass hier die messianische Endzeit der Fülle, des Friedens und der Gerechtigkeit beginnen wird. Der Gerechte Simeon und die Prophetin Hanna leben hier wohl auch deshalb, weil sie dieser Verheißungen trauen und auf Gottes Treue hoffen.

Von Simeon wird gesagt, dass er gerecht und fromm war - sich also in besonderer Weise um die Erfüllung der Weisungen Gottes bemühte. Der Heilige Geist ruhte auf ihm. In heutiger Sprache könnte man vielleicht sagen: Er war ein Mensch mit großer spiritueller Tiefe; einer, dem man anmerkt, dass er sich tief in Gott verwurzelt hat und der dabei in einem langen Leben weise geworden ist. In seinem Alter lebt er aus der Überzeugung, dass er nicht sterben wird, ehe er gesehen hat, dass die messianische Zeit des Heiles wirklich begonnen hat. So wartet er auf die Rettung Israels.

Die Gegenwart Israels sah damals allerdings nicht recht nach Rettung aus: Das Volk litt unter der römischen Besatzung; die Mächtigen hatten sich mit den Besatzern arrangiert; das Volk selbst zerfiel in viele Gruppierungen. Von einer Rettung, zu der nach alter Vorstellung immer auch die Wiederherstellung eines starken, geeinten und souveränen Israel gehörte, war also wenig zu spüren. Ein "Analyst" hätte voll Realismus wohl nicht dazu geraten, gerade darauf zu warten.

Doch Simeon erkennt in dem Kind den Messias: erkennt Heil und Herrlichkeit, erkennt Gottes Wirken in diesem Kind, erkennt, dass sein Vertrauen in die Verheißungen berechtigt ist. In diesem Vertrauen wird er nun auch sterben können.

Auch Hanna wartet. Sie ist eine Prophetin, eine Frau mir einer besonderen Einsicht in den Willen Gottes. Ihre Beschreibung, die uns der Evangelist Lukas gibt, ist voller symbolischer Anspielungen: Sie war sieben Jahre verheiratet: sieben ist die Zahl der Fülle; sie lebte als Witwe im Tempel: also ganz auf Gott ausgerichtet, und das 84 = 7 x 12 Jahre lang: sozusagen 7 Jahre für jeden der 12 Stämme Israels – so wird sie zur Repräsentantin des ganzen Volkes Israel und seiner Geschichte: Nach einer Zeit der innigen Verbundenheit mit Gott kam eine lange Zeit des Wartens in Gebet und Fasten – und jetzt ist die Zeit erfüllt.

Zwei Eigenschaften Hannas weisen darauf hin, dass dieses Warten weder hoffnungslos, noch nur durch den Mangel gekennzeichnet ist: Hanna wird als Tochter Penuels bezeichnet – Penuel bedeutet: Ich habe Gott gesehen, und es ist die Bezeichnung die Jakob dem Ort gibt, an dem er im Fluss mit Gott gerungen und Gottes Segen erhalten hat. Hanna trägt also ein Erbe: Sie weiß gewiss, dass Gott sich zeigt, und wenn das auch einmal ein Ringen bedeutet, so bringt es doch letztendlich Segen. Gott gibt sich zu erkennen und segnet dabei – das liegt Hanna sozusagen im Blut. Und sie ist aus dem Stamm Ascher: Wenn in der Bibel dieser Name erwähnt wird, ist von Glück und erfülltem Leben die Rede. Hanna kann also im Tempel ausharren und auf die Erlösung warten, ohne dabei nur an dem zu leiden, was noch nicht ist – sie kann ausharren und warten aus der Erfahrung ihres Volkes, dass Gott nahe ist, sich zeigt, segnet und Leben in Fülle gibt. Auch das Warten auf das Kommen Gottes ist ein solches Leben in Fülle. Und genau diese Fülle erkennt Hanna in der Unscheinbarkeit eines kleinen Buben, dessen Eltern treu die alten Riten befolgen. Hannas Warten, das die Fülle der Zeit abgeschritten hat, hat ihre Wahrnehmung so geschärft, dass sie Gottes Wirken in diesem Kind zu erkennen vermag, gegen den Augenschein; dass sie zu erkennen vermag, was hier unscheinbar beginnt: die Erlösung.

Warten und erkennen: Das sind die zwei Merkmale eines gelingenden Lebens aus der Hoffnung auf Gottes Kommen, die ich von Hanna und Simeon festhalten möchte. Von ihnen möchte ich lernen, auf Gottes Verheißungen zu vertrauen und auf die Erfüllung von Frieden und Gerechtigkeit auch dann zu warten, wenn die äußeren politischen Umstände das Gegenteil ansagen. Wo solches Warten nicht nur am Unfrieden und an der Ungerechtigkeit leidet, sondern auch Kraft aus den Quellen des Glaubens schöpft, dort ist solches Warten gewiss nicht ohne Wirkung. Und ich will lernen, wie Simeon und Hanna Gottes Wirksamkeit dort erkennen, wo neues Leben, neue Hoffnung aufbricht, und sie es auch in unscheinbaren Vorgängen – etwa bei all denen, die Kinder begrüßen und sich vertrauensvoll in die Tradition der Verheißungen Gottes stellen. Von der Prophetin Hanna wünsche ich mir dazu die Kraft ihres Gebetes, damit mir immer wieder neu die Augen aufgehen für Heil und Herrlichkeit inmitten unserer Welt.

 

 

Kontaktadressen:

 

Dr. Joseph Farrugia

Pfarre Votivkirche

Rooseveltplatz 8

1090 Wien

Tel: 01/406 11 92

 

Referat für Tourismuspastoral der Erzdiözese Wien

Stephansplatz 6

1010 Wien

Tel: 01/51552/3375

 

 

Ich dein Baum –
Ein Gedicht von Dorothee Sölle

Nicht du sollst meine probleme lösen

sondern ich deine gott der asylanten

nicht du sollst die hungrigen satt machen

sondern ich soll deine kinder behüten

vor terror der banken und militärs

nicht du sollst den flüchtlingen raum geben

sondern ich soll dich aufnehmen

schlecht versteckter gott der elenden

 

Du hast mich geträumt gott

wie ich den aufrechten gang übe

und niederknien lerne

schöner als ich jetzt bin

glücklicher als ich mich traue

freier als bei uns erlaubt

 

Hör nicht auf mich zu träumen gott

ich will nicht aufhören mich zu erinnern

dass ich dein baum bin

gepflanzt an den wasserbächen

des lebens