Erfüllte Zeit

05. 01. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Der Prolog des Johannes-Evangeliums" (Johannes 1, 1 - 18)

Kommentar: Schwester Maria Andreas Weißbacher

 

 

Ein Text von Mme de Guyon

 

 

Schwester Maria Andreas Weißbacher

Licht und Finsternis begegnen wir zu allen Zeiten unseres Lebens, doch es gibt Augenblicke, wo uns das krasse Nebeneinander dieses Gegensatzes betroffen macht und zuinnerst erfasst.

Ich hatte dieses Erlebnis bei der Lektüre eines Buches während einiger Urlaubstage im Gästehaus einer bayrischen Benediktinerabtei. Die regelmäßige Ordnung des Betens und Arbeitens, der gepflegte Gesang der Brüder, großartige Orgelmusik in der Abteikirche, sorgfältig angelegte Kulturen in Glashäusern, auf Acker und Feld - all das hab ich äußerst wohltuend empfunden, wie eine heile Welt im Frieden mit Gott und der Mitwelt.

Und dann das Buch, das mich ergriff: Es hat mich erinnert an eine Meldung vor sechs Jahren. Da waren sieben Trappistenmönche aus ihrem bescheidenen Kloster mitten im Atlasgebirge entführt und nach zwei Monaten brutal ermordet worden. Später habe ich das Testament von Pere Christian, dem Prior dieser Gemeinschaft gelesen. Er hatte es zweieinhalb Jahre vor seinem Tod niedergeschrieben. Er hat seine Familie, seinen Orden und die Freunde erinnert, dass sein Leben ohnehin Algerien geschenkt sei. Er bete für den Moment eines gewaltsamen Todes um die nötige geistige Klarheit, um von Herzen dem verzeihen zu können, der Hand an ihn legen sollte.

In diesem Buch nun wurde anhand ihrer Aufzeichnungen der letzte Wachstumsprozess dieser christlichen Gemeinschaft mitten in einem von muslimischen Fundamentalisten umkämpften Gebiet aufgezeigt.

Da sind Männer zwischen 45 und 82 Jahren. Alle haben in ihrem Beruf erfolgreich gearbeitet, als Priester mitten in Paris, als Handwerker, Arzt, Sozialarbeiter oder politisch Verantwortliche. In allen ist im Verlauf ihres Lebens die Berufung zu einer radikalen Nachfolge Christi im Leben eines Mönches gewachsen. Es waren reife Männer, die in der kargen Landschaft des Atlasgebirges demütig und friedlich bezeugen wollten, dass Gott es wert ist, ihn anzubeten und das Leben für ihn hinzugeben; Männer, die sich mit all ihren Begabungen darauf eingelassen haben, inmitten einer muslimischen Gesellschaft im ganz gewöhnlichen Alltagsleben das Antlitz Jesu offenbar zu machen, wie Frère Luc, der Senior dieser Gruppe es formuliert hat.

Sie haben nichts Außergewöhnliches gemacht: Sie haben einen Begegnungsraum zwischen Muslimen und Christen errichtet. In tiefster Ehrfurcht vor der Anwesenheit Gottes in jedem Menschen ist gemeinsames Beten, ein Teilen der spirituellen Erfahrungen möglich geworden. Sie haben ihren Lebensunterhalt durch ihre Arbeit verdient. Dabei mussten auch sie erfahren wie die meisten Menschen in der sogenannten 3. Welt, dass ihr mühsam verdientes Geld absolut nicht zählt, wenn Bücher oder Werkzeug von anderswo gebraucht werden. Sie waren weitum bekannt für ihre Erfolge im Obst- und Gartenbau, in der Nachbarschaftshilfe und in der medizinischen Versorgung – doch alle Nachbarn wussten, dass das Herzstück ihres Lebens das gemeinsame Gebet war, ein inniges, solidarisches Beten, das die Arbeiten, die Schmerzen und die Freuden der Menschen in der ganzen Region einbezog. Dieses armselige Kloster war eine Oase des Friedens und der Versöhnung inmitten erstarrter Fronten zwischen staatlichen Kräften und radikaler islamistischer Gruppen, die den Gottesstaat unbedingt herbeizwingen wollten. Die Mönche verstanden ihren Weiterverbleib in Arbeit und schweigendem Gebet als Hintergrund-Begleitung in der andauernden Prüfung des von ihnen geliebten Volkes.

Drohungen hatten sie genug erhalten und sich immer wieder in Gebet und Gespräch einstimmig dazu entschieden, als ein Zeichen der Liebe Gottes zu verbleiben, jeden Menschen zu lieben, gleichgültig, welchem politischen, militärischen oder religiösem Lager er angehört, sich keiner Gewalt zu beugen, und selbst Gewaltlosigkeit zu leben.

Wenn Père Christian in seinem Testament seinen möglichen Mörder als den Bruder der letzten Stunde anspricht, dann war das innerste Empfindung geworden.

Am Gründonnerstag 1996 erfolgte die gewaltsame Entführung. Zwei Monate waren sechs Franzosen und ein Algerier im Gewahrsam dieser Gruppe, die allen Ausländern den Tod angedroht und viele auch schon ermordet hatte. Nach einem Monat erreichte die französische Regierung eine Tonbandaufzeichnung; die Mitteilungen der Brüder klingen ruhig und gelassen. Für mich bedeutet dies, dass diese Mönche ihre Lebensform des Gebetes, des Verzeihens und des Liebens auch in der Extremsituation von Geiseln durchgehalten haben. Zwei lange Monate inmitten einer Welt politischer Verhetzung, nationalistischem Fanatismus und irregeleiteter Religiosität.

Der Bruder der letzten Stunde erfüllte seine für ihn religiöse Pflicht und tötete brutal. Die Mönche vom Atlasgebirge haben bis zur letzten Konsequenz den bezeugt, den Johannes als das wahre Licht der Welt bekannt hat. In ihrem Leben und Sterben ist Gott sichtbar und für viele Menschen erfahrbar geworden.

Das Licht kam in die Finsternis, doch die Finsternis hat es noch nicht begriffen.

Doch dieses Licht ist stärker als alle Dunkelheit und Bosheit unserer Welt.

Die ihn angenommen – schreibt Johannes – ihnen hat er Vollmacht gegeben, Kinder Gottes zu werden.

 

 

Ein Text von Mme de Guyon

Was geschieht dem Kind, das in Frieden, und ohne sich zu bewegen, behutsam die Milch trinkt? Wer könnte glauben, dass es sich so ernährt? Und doch, je friedlicher es saugt, desto mehr bringt ihm die Milch Nutzen. Was wird also mit diesem Kind, sage ich? Es wird an der Brust seiner Mutter einschlafen. So sinkt die in den Frieden des Inneren Gebetes gehüllte Seele oft in einen mystischen Schlaf, wo alle Kräfte zum Schweigen kommen, so dass, was ihnen vorübergehend gegeben wurde, bleibender Zustand wird. Ihr seht, dass die Seele ganz natürlich hierhin geführt wird, ohne Zwang, ohne Anstrengung, ohne Gelehrsamkeit, ohne besondere Technik.

Unser Inneres ist keine Festung, die man mit Kanonen und Gewalt einnimmt. Es ist ein Reich des Friedens, das sich mit Liebe in Besitz nehmen lässt. Wenn man in solcher Weise ganz behutsam auf diesem kleinen Weg weitergeht, wird man bald zum eingegossenen Inneren Gebet gelangen. Gott verlangt nichts Außerordentliches, nichts allzu Schwieriges; im Gegenteil ihm gefällt aufs höchste ein ganz einfaches, kindliches Vorgehen.