Erfüllte Zeit

02. 03. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Frage nach dem Fasten"

(Markus 2, 18 - 22)

Kommentar: Pater Erhard Rauch SDS

 

 

Text von Thomas von Aquin (1224 – 1274)

 

 

Pater Erhard Rauch SDS

In unserem Lebensgefühl erkennen wir immer mehr, dass der Mensch in seiner Existenz eine Einheit ist: In seiner Körperlichkeit, in seinen Emotionen, in seinem Intellekt. Wir verabschieden uns doch deutlich von einer Aufteilung des Menschen in verschiedene Bereiche. Zwar registrieren wir, dass z. B. bei einer Krankheit für jeden Körperteil ein anderer Arzt zuständig ist, für Augen, Ohren, Zähne, Herz und Gelenke, doch sind wir ganz klar auf der Suche nach Ganzheit, nach Heilmethoden, die die Gesamtheit des Menschen im Blick haben. Ich spüre, dass ich als Mensch eine Einheit bin und nicht einfach eine Zusammenstellung verschiedener Organe, die für sich einzeln funktionieren.

 

Schon früh ist in der jungen Kirche die Gemeinschaft der Christen als Leib mit einander zugeordneten Gliedern beschrieben worden und von Jesus erfahren wir immer wieder, dass er die Einzigartigkeit jeder Person ernst nimmt und auf den ganzen Menschen sieht.

 

Aber in unseren verschiedenen Lebenssituationen nehmen wir uns nicht immer als eine solche Einheit wahr. Das heutige Evangelium sagt nun, dass diese einzelnen Ausschnitte unseres Lebens wesentlich sind, um zu einer Erkenntnis der Einmaligkeit zu führen. Wir erfahren uns eingebettet in einen bestimmten Rhythmus des Lebens, der oft in Gegensätzen erfahrbar wird: Tag und Nacht, Licht und Dunkel, Wachen und Schlafen, Fasten und Feiern.

 

Zunächst wird den Jüngern Jesu der Vorwurf gemacht, sie hielten sich nicht an diesen Rhythmus der Gesellschaft. Sie fasten nicht, wo doch die Frommen alle fasten. Von Jesus müssen sich diese Leute sagen lassen, dass es darauf ankommt, zur jeweils richtigen Zeit das Richtige zu tun. Er zeigt ihnen den tieferen Sinn des Fastens. Im religiösen Fasten drücken Menschen etwas aus. Sie bekennen sich dazu, nicht so gelebt zu haben, wie sie leben sollten, und zeigen ihr Verlangen nach Umkehr. Oft hat das Fasten mit Trauer zu tun, mit der Trauer um Menschen oder mit der Trauer in einer unheilvollen Situation. Fasten ist dann die leibhaftige Klage und Bitte um zurückkehrende Freude.

 

Auf der anderen Seite steht die Zeit des Feierns. Sie wird verglichen mit einer Hochzeit, die in fast allen menschlichen Kulturen als eine herausgehobene Zeit des Feierns gilt. Da wird alles aufgeboten, um Armut und Plagen, Gegensätze und Rivalitäten vergessen zu lassen. Und die Zeit, in der ein Brautpaar seine Freunde um sich hat, ist einfach keine Zeit zum Fasten. Jesus meint einfach: Seid doch ehrlich zu euch selbst. Erkennt die Zeichen der Zeit und lasst Euch nicht von selbstverordneten Gebräuchen leiten. Und die Zeichen der Zeit weisen auf das anbrechende Reich Gottes hin. Am Anfang der Verkündigung Jesu steht beim Evangelisten Markus das Wort: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. In unserer Sprache würden wir vielleicht sagen: Es ist so weit, Gott setzt sich durch. Wer da fastet, verweigert der frohen Botschaft den Glauben.

 

Aber im Evangelium klingt auch an, dass mit dem Anbruch des Gottesreiches nicht einfach die Zeit der Macht des Dunkels hinter uns liegt. Der Unglaube kann sich gegen die nahe gekommene Freude wehren. Und Jesus nimmt seine Macht nicht in Anspruch, um sie zur eigenen Rettung einzusetzen. Daher kann wieder die Zeit kommen, wo die Abwesenheit des Bräutigams ein Fasten notwendig macht, eine Bitte um die zurückkehrende Freude. Auch hier sollen wir uns nichts vorspielen. Hier kann man sich nicht lustig hinweg retten. In dieser Zeit ist Fasten und Trauer die richtige Antwort.

 

Darüber steht aber dennoch die frohe Botschaft. Am Ende siegt der Ostermorgen, es geht eine Sonne auf, die nicht mehr untergehen wird.

 

Die Freude darauf versammelt uns Christen zum Feiern am Sonntag. Hier erneuern wir nicht nur unsere Kräfte, um für einen neuen Alltag gerüstet zu sein, sondern hier drücken wir die Freude über das endgültige Durchsetzen Gottes in dieser Welt aus, ohne das Dunkel, die Trauer und die Not mancher Menschen zu verdrängen. Denn genauso wie wir den Sonntag feiern, wissen wir auch um den Freitag. Ein bewusstes und ehrliches Fasten ist Voraussetzung für ein wirkliches Feiern. Alles andere ist Flickwerk, so hören wir im Evangelium, das zerreißt, wie ein altes Kleid, oder ein alter Schlauch, wenn sich die Kräfte entfalten, die in einem erlösten Menschen frei werden.

 

 

Text von Thomas von Aquin (1224 – 1274)

Gib mir, ich bitte dich,

allmächtiger und allerbarmender Gott,

die Kraft, die deine Gnade verleiht.

 

Denn ich möchte glühend ersehen,

weise erforschen und vollkommen erfüllen,

was dir gefällt.

 

Gib mir zu allem, was du von mir forderst,

die Einsicht, den Willen und das Vermögen,

es so zu vollbringen, wie ich soll.

 

Mache meinen Weg zu dir gerade,

sicher und eindeutig bis zum Ende,

mache mein Herz fest und aufrecht.

 

Erfülle mich mit Verstand, dich zu erkennen,

mit Eifer, dich zu suchen,

und mit Weisheit, dass ich dich finde.

 

Und mache mich treu und verlässlich,

dass ich am Ende

in deinen Armen mein Ziel finde.