Erfüllte Zeit23. 03. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
"Das
Gespräch am Jakobsbrunnen" Kommentar: Dr. Helga Kohler-Spiegel
Aus den „Divinae institutiones“, Kap 6.
„Was glauben Sie?“ – Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung
Bekannt sind die beiden waldviertler Stifte Geras und Pernegg nicht nur für ihre prachtvolle Architektur, sondern auch für die seit Jahren angebotenen Kunst- und Fastenkurse. Heuer feiern die beiden Stifte ihr 850-Jahr-Jubiläum. 1153 wurde das Prämonstratenserstift Geras und das Chorfrauenstift Pernegg von Graf Ulrich II. von Pernegg gegründet. 850 bewegte Jahre. Geras wurde mehrmals zerstört und geplündert und ist heute ein prachtvoll restauriertes und sehr lebendiges Stift. Pernegg wurde unter Josef II. aufgelassen und steht heute als modern ausgebautes Seminarzentrum zur Verfügung. Anlässlich des Jubiläums gibt es eine Fülle von Veranstaltungen. Gestaltung: Maria Harmer
Kontaktadressen:
Prämonstratenser Chorherrenstift Geras Hauptstraße 1, A-2093 Geras Tel: 02912/345/289 Fax: 02912/345/287 e-mail: klosterladen@stiftgeras.at
Seminar- und Fastenzentrum Kloster Pernegg Pernegg 1, A-3753 Pernegg e-mail: kloster.pernegg@nextra.at
Kommentar:
Dr. Helga Kohler-Spiegel Seit alter Zeit sind Wasserstellen die Zentren, an denen sich Menschen kennen lernten und sich verliebten, an denen sie sich versammelten, Recht sprachen und sich versöhnten. Am Brunnen entschied sich, wer den anderen neben sich trinken und damit leben ließ. Mit der Vergiftung von Brunnen wurde Leben für Mensch und Tier zerstört. Brunnen sind seit alter Zeit Symbole des Lebens. Aus der Mitte der Erde sprudelt, was wir zum Leben brauchen. Das Johannesevangelium erzählt uns eine solche "Brunnengeschichte". Es ist eine Geschichte von Missverstehen und sich Begegnen, es ist eine Geschichte von Hoffnung, von Sehnsucht nach Verstandenwerden und nach Heilwerden. Jesu
Erfolg bei den Menschen in Jerusalem schafft ihm Neider, er zieht
sich deshalb wieder nach Galiläa zurück. Der Weg führt ihn durch
Samaria, das 722 v. Chr. von den Assyrern erobert wurde, ein eigenes
Heiligtum im Nordreich errichtet und sich damit aus jüdischer Sicht
vom Jahwe-Glauben abgewandt hat. Doch bereits Jakob ist hier mit
seinen Herden vorbeigezogen. Die "Quelle Jakobs" erinnert
daran, sie gibt nach wie vor Wasser. An
diesen Ort kommt Jesus um die Mittagszeit. Es ist viel zu heiß, um
weiterzugehen, die Mittagshitze macht müde und durstig, die
Anstrengung des Vormittags lässt innehalten für das, was der
Nachmittag noch bringen mag. Wenn die Sonne am Zenit steht, muss sie
ihre Bahn ändern. Es ist Wendezeit, Zeit der Veränderung. Es ist
Mittag. "Da
kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen." Die Frau
verrichtet ihre Arbeit wie jeden Tag: Wasser holen, aber in dieser
alltäglichen Arbeit der Frau wird - so sagt der Bibeltext - etwas
Neues möglich. Auf die Bitte Jesu: "Gib mir zu trinken",
reagiert die Frau irritiert, denn ein Mann, ein Jude, spricht nicht
mit einer Samariterin. Dennoch: Das Gespräch wird möglich, weil
Jesus der Frau als Mensch, als ein durstiger, bedürftiger Mensch
begegnet. Die Begegnung wird möglich, weil die Abgrenzung zwischen
Mann und Frau, zwischen Rechtgläubigkeit und Abgefallenen
aufgehoben wird, mit Hilfe einer einfachen Bitte: Gib mir zu
trinken. Die
Samariterin versteht noch nicht wirklich, aber es ist etwas in
Bewegung gekommen: "Bist du etwa größer, bist du mehr als
unser Vater Jakob?" Noch fragt die Frau von außen, für sie
ist Wasser nichts als Wasser, der Brunnen bedeutet für sie Arbeit
beim Schöpfen. Noch fällt es ihr schwer, den Blick und die
Perspektive zu ändern. "Mehr
als unser Vater Jakob?" Jedes Wort zählt. Jakob gehört zur
gemeinsamen Geschichte der Juden und der Samariter, er verbindet
sie. Jakob erinnert an die Geschichte des Weges Gottes mit den
Menschen. Es ist ein Weg mit Irrwegen, mit Sackgassen, ein langer
Weg voll Hoffnung und Verzweiflung, voll Sehnsucht und Vergebung.
Die Erinnerung an diese Geschichte ist zugleich eine Verheißung,
dass Gott bei den Menschen bleibt, dass der Messias kommen wird. Könnte
es sein, dass dieses Gespräch, das so viele Missverständnisse
beinhaltet, die Sehnsucht nach "Mehr", nach mehr Leben
weckt? Könnte es sein, dass manchmal ein Gespräch unsere Sehnsucht
wachruft? Manchmal
dauert es lange, die Sehnsucht nach Leben wieder zu spüren. Es
dauert lange, bis die Frau nach dem Wasser verlangt. Und auch dann
versteht sie noch nicht wirklich. Es ist, als wäre das Gespräch zu
Ende. Doch Jesus nimmt einen neuen Anfang. Er redet nicht mehr von
Wasser, von Durst und vom Trinken. Jesus fragt die Frau nach ihrer
Lebenssituation, nach ihrem Mann. Und plötzlich wird das Gespräch
zur echten Begegnung. Plötzlich fühlt sich die Frau verstanden.
"Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Herr, ich sehe, dass
du meinen Durst kennst, meine Sehnsucht nach Liebe, nach
Geborgenheit, nach einem Zuhause. Fünf Männer, sechs Männer...
bei jedem glaubte ich neu, Glück und Geborgenheit, Verständnis und
Liebe zu finden. Mein Durst ist noch immer ungestillt." Und
nun redet die Frau von sich aus von den Quellen, die - vielleicht -
Trost und ein Zuhause geben können. "Die einen beten hier, die
anderen in Jerusalem. Wo aber ist die wahre Quelle, wo ich meinen
Durst, meine Sehnsucht stillen kann?" Nun ist es ohne weitere
Erläuterung klar, dass es möglich ist, durstig zu sein, trotz der
Quelle Jakobs und ihrem Wasser. Nun ist klar, dass überlieferte
religiöse Überzeugungen und fromme Handlungen nicht unbedingt
unseren Durst stillen. In
ihrer alltäglichen Arbeit begegnet dieser namenlosen Frau jemand,
der ihre innere, vielleicht lange schon begrabene Sehnsucht
versteht. Völlig überraschend und für sie nicht gleich erkennbar,
geschieht Verwandlung. In der Mitte des Tages verändert eine zufällige
Begegnung, in der Mitte des Lebens, nach vielen Versuchen, einen
liebenden Mann zu finden, in der Mitte des Lebens, in der für die
Träume der Jugend längst kein Platz mehr ist, in der Mitte des
Lebens taucht jemand auf, der die Frau einfach nur nach ihrem Leben
fragt. Jesus
gibt eine Antwort. Jesus zeigt ihr einen Weg: Nicht äußere Orte
sind die Quelle. Nicht orientiert nach außen finden wir die Quelle.
Jesus sagt der Frau nicht, dass es ihr doch eh gut gehe, dass sie
doch alles habe. Er sagt ihr nicht, sie müsse bestimmte Rituale
durchführen oder bestimme Gebete sprechen, bestimmte Regeln
einhalten oder Aufgaben erfüllen. Jesus spricht davon, dass Gott
erfahrbar ist: "Gott ist Geist", angebetet "in Geist
und Wahrheit". Was aber heißt das? Die Frau scheint es
verstanden zu haben. Sie hat diesen Geist, diese Kraft erfahren in
der Begegnung mit Jesus. Sie hat Gott erfahren in dieser Begegnung
mitten am Tag, im Alltag, beim selbstverständlichen Tun, beim
Wasser holen, sie hat den Geist, sie hat Gott erfahren in ihrer
Suche, in ihrer Sehnsucht nach der "Quelle des Lebens". Die
Versuchung ist groß, die Wahrheit finden zu wollen, ohne in den
Brunnen zu schauen, ohne die Quelle in uns und in den Beziehungen
mit Menschen zu suchen. Die Versuchung ist groß, einen leichteren
Weg zu wählen als den eigenen. Die Frau fühlt sich dort
verstanden, wo Jesus von ihrer Situation spricht. Schonungslos und
ehrlich, doch ohne erhobenen Zeigefinger, ohne zu beschönigen:
"Damit hast du die Wahrheit gesagt." Der Text des
Evangeliums erläutert uns, was mit "Wahrheit", diesem so
schwierigen Wort gemeint ist: Es ist "Wahrheit" zu sagen,
was ist. Es ist "Wahrheit", verstehend und begleitend
jemandem zu helfen, sein/ ihr Leben anzusehen, nicht wie es hätte
sein sollen in den Augen anderer oder in den eigenen Wunschträumen,
sondern einfach wie es ist. Es
ist ein hoffnungsvoller Text - das heutige Evangelium: Gott bleibt
erfahrbar in unserem Leben, in unserer Sehnsucht und in unserer
Hoffnung auf ein erfülltes Leben. In diesem Geist kann die
Samariterin bekennen: "Vielleicht ist es der Messias?" und
ein wenig später: "Er ist wirklich der Retter der Welt." Aus
den „Divinae institutiones“, Kap 6. Was
den Interessen unseres Landes nützt, bereitet einem anderen Staat
oder einer anderen Nation Schwierigkeiten. Wenn man etwa die Grenzen
ausdehnt und dabei anderen gewaltsam Territorium wegnimmt; oder wenn
man die Macht des Staats stärkt, und wenn man die Einnahmen des
Staates erhöht; dies sind keine Tugenden, sondern solche
Vorgangsweisen zerstören die Tugend. Denn als erstes werden die
gemeinschaftlichen Bande der Gesellschaft zerstört, dann wird die
Unschuld zerstört, dann wird der Respekt für das Eigentum des
anderen zerstört, und zum Schluss wird die Gerechtigkeit selbst
zerstört, denn sie erträgt es nicht, dass die Menschheit
auseinandergerissen wird. Und wo immer Waffen geglitzert haben, ist
sie verbannt und ausgelöscht worden. Wie kann ein Mensch gerecht sein, der Unrecht tut, der hasst, der zerstört und tötet? Und jene, die danach streben, ihrem Land zu dienen, tun genau dies – denn sie verstehen nicht, was sie in ihrer Dienstbereitschaft tun; Sie denken, dass nur das nützlich und vorteilhaft sein kann, was handfest ist; aber genau das kann man nicht behalten, weil es einem immer von einem anderen genommen werden kann.
„Was glauben Sie?“ – Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung Ursprünglich
war er Mathematiker, dann studierte er Sozialwissenschaften. Heute
gilt er als der „Papst der Friedensforschung“. Johan Galtung
lehrt an den renommiertesten Universitäten Europas, Japans und den
USA. Weltweit ist Galtung in 50 Konflikten als Vermittler
aufgetreten, von Südafrika bis zum Kosovo. 1930
in Norwegen geboren, lernt Johan Galtung bereits in der Pubertät
die Schrecken der totalitären Herrschaft unter den Nazis kennen.
Die Aktivitäten im Widerstand, die Beschäftigung mit
Totalitarismus und Gewaltfreiheit, und
Friedenseinsätze in Konfliktregionen der Erde haben ihn bis
heute zu einem vielbeachteten streitbaren Friedensforscher gemacht.
Neben seinen vielfältigen Lehraufträgen als Professor für
Friedensforschung (105 Bücher, 1000 Monographien) ist Galtung
Direktor von Transcend, einem Netzwerk für Frieden und Entwicklung.
1987
hat Johan Galtung den Alternativen Nobelpreis erhalten. Johannes Kaup hat ihn
anlässlich des Irak-Krieges zu seiner Einschätzung und zu
seinen persönlichen Glaubensüberzeugungen gefragt. Gestaltung: Johannes
Kaup
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