Erfüllte Zeit

11. 05. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Der gute Hirt als Gegenbild zum Taglöhner" (Johannes 10, 11 - 18)

Kommentar: Regina Polak

 

Text von Hans Urs von Balthasar

 

 

Jugendschwangerschaftsbegleitung BABYDOLL

Haus "L.e.n.a." Krankenanstalt Göttlicher Heiland, 1170 Wien, Dornbacherstr. 30

Tel.: 01/4865631/370

 

 

 

Regina Polak

Welch idyllisches Bild: Der gute Hirt weidet auf der Herde seine Schafe, die Schafe sind friedlich versammelt, alle sind mit der Natur eins. Ein Hoffnungsbild, ein Sehnsuchtsbild, übrigens auch eine weit verbreitete Darstellung Christi in der urchristlichen Ikonographie. Insbesondere Städtern und Städterinnen, die solche Idyllen meist nur aus dem Urlaub kennen, geht hier das Herz auf. Die Schattenseiten solchen Daseins werden gerne ausblendet.

Für die Menschen der biblischen Zeit – und auch für viele heute noch - bedeuten Schafherden  Alltag, Broterwerb, harte Arbeit. Die Herde ist oft bedroht: Von Wölfen, von Zerstreuung, auch karges Land und Unwetterkatastrophen sind für das Überleben der Tiere und Menschen ebenso gefährlich wie unfähige oder feige Hirten, die das Weite suchen, sobald Gefahr naht. Idylle und Einmütigkeit waren und sind damals wie heute eher die Ausnahme als die Regel – auch dort, wo „Herde und Hirt“ Metaphern für politische und religiöse Zustände sind. Ebenso beständig aber ist die Kraft des Friedensbildes vom guten Hirten mit seiner Herde und die unstillbare Sehnsucht nach Friede und Eintracht, die sich daran bindet. Seine Schafe hüten können auf eigenem Land. Ein Urbild für die versöhnte Schöpfung.

So ist es nicht verwunderlich, dass das zweideutige Bild von der Herde und ihren Hirten von alters her dazu diente, politische und religiöse Machtverhältnisse zu thematisieren und auch zu kritisieren. Die Reaktion auf die Rede Jesu, der sich bei Johannes den „guten Hirten“ nennt, verdeutlicht den provokativen Anspruch dieses Bildes: Die Juden beginnen zu streiten und spalten sich in die, die das glauben und die, die das nicht glauben.

Sich Hirte zu nennen bedeutet: einen religiösen und politischen Führungsanspruch zu erheben. Der Evangelist Johannes legt Jesus diese Worte in den Mund, um zu sagen: Jesus ist der wahre und einzige Leiter einer christlichen Gemeinde, denn er allein hat gezeigt, wie Leitung im Sinne Gottes aussieht. Sich „guten Hirten“ zu nennen, ist zudem Kritik an denen, die zwar Hirten sind, aber ihre Aufgabe nicht gut erfüllen. Denn mit „Hirten“ waren in biblischen Zeiten von jeher Könige und Priester gemeint: alle jene, denen die Macht gegeben war, für Gerechtigkeit, Frieden und Einmütigkeit unter den Menschen zu sorgen – oder aber durch schlechte Leitung Zwietracht, Armut und Gewalt zu fördern.

Was zeichnet nun den „guten Hirten“ aus? Seine Motive: Liebt er seine Herde? Solche Liebe meint kein frommes Gefühl, sondern wird konkret im persönlichen, handfesten Bezug zur Herde: Kennt der Hirt seine Schafe, weiß er, was sie brauchen und wie es ihnen geht? Lässt der gute Hirt zu, dass die Seinen ihn kennen und verstehen können? Dass sie ihn angreifen können? Wie steht der Hirte zu Gott? Pflegt er den Kontakt mit ihm? Kann und will der Hirt Einmütigkeit fördern oder spaltet er die Herde?

Und schließlich das alles entscheidende Maß: Ist er bereit, das eigene Leben für seine Schafe einzusetzen? Freiwillig und aus Liebe, ohne etwas dafür zu verlangen?

Johannes und seine Gemeinde haben in Jesus einen solchen guten Hirten erfahren und erkannt. Daher folgen sie ihm nach, denn Jesus hat politisch und religiös wie ein „guter Hirt“ geleitet: Wo er wirkte, wurden Menschen gesund, Armen ging es besser, Friede breitete sich aus.

Wer immer nach Jesus als Christ, als Christin andere Menschen leiten will, sei es in der Politik oder in der Kirche, hat nun ein Modell: Jesus hat gezeigt, wie gottvolles und menschennahes Leiten aussieht. Wer an Jesus glaubt, kann sehen: Solches Leiten ist möglich. Er weiß aber auch: Es ist brandgefährlich, denn der Weg des Friedens erzeugt auch Widerstand bei jenen, die dabei Macht und Einfluss verlieren. Gefragt ist der Einsatz des eigenen Lebens.

Das Ziel bleibt dabei: Die friedlich geeinte Herde. Sie ist das Maß, an dem man messen kann, wie es um die religiösen und politischen Führer einer Zeit bestellt ist.


Hans Urs von Balthasar

Christlich kann Communio nicht erstrebt werden, weil sie vorweg von Gott in Christus und in der „Durchtränkung“ mit dem Heiligen Geist geschenkt worden ist. Alles Eins-sein-Wollen appelliert an ein Immer-schon-eins-Sein: aber nicht durch uns selbst, nicht aufgrund der natürlichen Mitmenschlichkeit, sondern weil Gott uns in seinem Sohn zu Kindern und Miterben eingesetzt hat. Die geschenkte Einheit ist für uns unverfügbar: sie stammt aus Gott, sie verwirklicht sich in Gott, und Gott bleibt unverfügbar.

Und wenn wir nicht „wissen“, dass schließlich alle Menschen von der göttlichen Gnade in die endgültig göttlich-menschliche Communio eingeholt werden, so haben wir doch als Christen das Recht und die Pflicht, es mit einer „göttlichen“, gottgewollten und gottgeschenkten Hoffnung zu erhoffen. Das Prinzip, das unsern Gedanken an den letzten Menschen, unsern Dialog mit dem nächsten und übernächsten begründet und untergreift, ist die von Gott gestiftete, nicht nur von fern verheißene, nicht nur angebotene, sondern real der Menschheit als ganzer geschenkte Communio.