Erfüllte Zeit

08. 06. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Beauftragung der Jünger"

(Johannes 20, 19 - 23)

Kommentar: Abt Otto Strohmayer

 

 

Johannes Tauler - Pfingstpredigt

 

 

Abt Otto Strohmayer

In einer Landkirche eine österliche Feier mit Kindern einige Wochen nach dem Ostersonntag. Eine Lehrerin: “Wieso jetzt noch von Auferstehung reden. Ostern ist doch längst vorbei?“ Die Liturgie ist da offensichtlich anderer Meinung.

 

Ungeniert wird uns heute, am Pfingstsonntag, also 50 Tage nach Ostern, ein Osterevangelium serviert. Wie damals am Ostersonntag: Mitten hinein in die Schar seiner verschüchterten, am Boden zerstörten Jüngerschar tritt Er, der Lebendige, der Todgeglaubte. Hinein in ihre verzagten Herzen bläst er seinen Geist. Es ist dieser Geist, der sie hinüberholt in eine völlig veränderte Sicht dessen, was geschehen ist. Der Tod ihres Herrn am Kreuz, für sie nichts als Zusammenbruch, als schmähliches Ende aller hoffnungsvollen Aufbrüche, bekommt allmählich eine total verwandelte Bedeutung. Unerwartete Hoffnungsperspektiven tun sich auf. Der pfingstliche Geist, der ihnen so sinnenhaft eingehaucht wird, der wie der Atem aus der Mitte Jesu herausströmt, der hinüberströmen kann in jeden, der offen dafür ist, dieser Geist wird aber nicht nur ihnen, seinen engsten Freunden, die Wandlung bewirken, er wird übergreifen auf die vielen, auf alle, die empfänglich sein werden.

 

Dieses Übergreifen von Ostern, diese Fortsetzung von Auferstehung wird freilich mehr sein als eine Überschwemmung der Menschen mit einer heiteren, im Grunde harmlosen Frühlingsstimmung, mit einem emotionalen Aufbruch und mit positiven Zukunftserwartungen, von Meinungsforschern ermittelt: Es wird genau dort hineingreifen, wo die wahre Not des Menschen ist, dort wird österliche Verwandlung geschehen, wo das Elend des Menschen wirklich sitzt, in seinem Herzen. Wo das Dunkle daheim ist, die Nachtseite des Menschen, das Zerstörerische, die Feigheit und Bosheit, die Lebenslüge und die Verweigerung der Liebe, mit einem Wort die Sünde, genau dort wird Auferstehung passieren.

 

Mit einem Wort der Bibel vielleicht harmlos klingend: „Wem ihr die Sünden vergebt“. Dabei mag jemand denken an eine eher düster wirkende Beichtstuhlsituation, an rasch heruntergesagte harmlose Verfehlungen, an möglicherweise undeutlich gemurmelte Lossprechungsworte eines Priesters. Schade, wenn es so wäre. Denn in der Tat geschieht dort ein Wunder, etwas unerhört Beglückendes, wenn –in welcher Form auch immer, - wenn also ein Mensch das Elend seines Herzens, die Not seiner Schuld und die erdrückende Last innere Zwänge herausbrechen lassen kann und über all dies das Wort gesagt wird, nicht leichtfertig und oberflächlich, sondern aus tiefstem Mitgefühl heraus: „So spreche ich dich los“. Dort, wo dies geschieht, wird nicht mehr und nicht weniger erfahren als die schöpferische und heilende Kraft des Heiligen Geistes. Es ist der pfingstliche Geist, der dort am Werk ist, wo Sünden im Namen Jesu vergeben werden.

 

So verstanden, ist Pfingsten weit mehr als ein vorsommerliches Fest der vollen Blüte, als eine Erinnerung, da einst dieser Sturmgeist auf eine verzagte Jüngerschar kam und vielleicht noch an unsere eigene Firmung, die längst und ohne Konsequenzen vorbei ist. Der Geist von damals kommt auch heute, auf alle, die mit ihm rechnen, sich nach ihm sehnen, nach ihm rufen. Und wenn er kommt, dann kommt er als eine heilende Kraft, als eine göttliche Energie, die den Menschen von innen heraus heil macht, ihn versöhnt und befreit von allen Mächten, die ihn fremd machen sich selbst, der Umwelt, dem Mitmenschen und seinem Urgrund, Gott gegenüber.

 

 

Johannes Tauler - Pfingstpredigt

Dies ist der herrliche Tag, da der Heilige Geist in Gestalt feuriger Zungen den heiligen Jüngern gesandt ward und allen denen, die mit ihnen vereinigt waren; der Tag, an dem der herrliche Schatz, der im Paradies durch des bösen Feindes Anstiftung und Schwäche der Menschen verloren ging, uns zurückzugeben ward. An diesem Tag wurde er uns zurückerstattet.

 

Der Heilige Geist ist eine so unbegreiflich, große, liebreiche Unermesslichkeit, dass all seine Größe und Unermesslichkeit von der Vernunft allein in bildlicher Weise nicht begriffen werden kann; Himmel und Erde und alles, was man darin fassen kann, ist nichts dagegen; Alle Geschöpfe, alle miteinander, sind dagegen viel geringer, als er das allergeringste Geschöpf der ganzen Welt gegenüber ist; noch tausend mal geringer und ohne jeden Begriff sind alle Geschöpfe zusammen gegen das Geringste, was man vom Heiligen Geist denken kann. Und darum muss der Heilige Geist, wo er empfangen werden soll, selbst die Stätte bereiten und die Empfänglichkeit selbst zustande bringen und auch sich selbst empfangen. Der unaussprechliche Abgrund Gottes muss seine eigene Wohnstatt sein und Stätte der Empfänglichkeit und nicht der Wohnort der Geschöpfe.

 

Das Haus, in dem die Jünger saßen, ward ganz erfüllt. Dieses Haus bedeutet in einem Sinn die heilige Kirche, die ein Wohnhaus Gottes ist; in einem anderen Sinn versteht man darunter einen jeglichen Menschen, in dem der Heilige Geist wohnt. Nun, so viele Wohnungen und Kammern in seinem Hause sind, ebenso viele Kräfte und Sinne und Wirksamkeiten sind in dem Menschen. In all diese kommt der Heilige Geist auf (jeweils) besondere Art. Sobald er kommt, drückt, reißt und richtet er den Menschen aus und bearbeitet und erleuchtet ihn. Aber diese Einkehr, diese Wirksamkeit werden nicht alle Menschen in gleicher Weise gewahr; und wirklich wohnt er ja auch in allen guten Menschen; doch wer dein Wirken empfinden soll, sein Dasein schmecken mag oder will, der muss sich in sich selber sammeln, sich von allen äußeren Dingen abschließen und dem Heiligen Geist eine Stätte einräumen, damit dieser in Ruhe und Stille sein Werk in ihm tun könne.