Erfüllte Zeit07. 09. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
New Yorks Ex-Bürgermeister Rudolph Guiliani zu den Terroranschlägen am 11. September 2001
Am kommenden Donnerstag jähren sich zum zweiten Mal die verheerenden Terroranschläge vom 11. September 2001. Nicht nur in der am meisten betroffenen Stadt, New York sondern auch in zahlreichen anderen Orten in- und außerhalb der USA wird es geistliche und weltliche Gedenkfeiern geben. Eine Person, die am 11. September 2001 und danach besonders im Mittelpunkt
des öffentlichen Interesses stand, ist Rudolph Giuliani, der
damalige Bürgermeister von New York. Im Anschluss an die
islamistisch Terrorakte hat er sich verstärkt Gedanken über
Vorurteile einerseits und religiöse Toleranz andererseits gemacht: Die Geschichte der USA ist alles andere als perfekt. Aber eben weil wir ein so vielfältiges Land sind, und weil wir alle in dieser Verschiedenheit zusammen leben müssen, haben wir vielleicht doch einiges an Erfahrung, wie dieses Zusammenleben gelingen kann. Ich hatte das große Privileg, acht Jahre lang der Bürgermeister von New
York City zu sein. Es ist die vielfältigste, bunteste Stadt auf der
ganzen Welt. Auch wenn man nur einen Tag in dieser Stadt verbringt,
trifft man viele Menschen, die anders sind als man selbst: sie sehen
anders aus, sie sprechen anders, sie verhalten sich anders. Diese
Vielfalt stellt einen großen Reichtum dar. Und ich war Bürgermeister von New York City, als die Stadt den
schlimmsten Tag in ihrer Geschichte erlebte: am 11. September.
Die Attacken auf das World-Trade-Center werden oft als Anschläge auf die
Stadt New York oder auf die USA gedeutet. Die Bedeutung der Terrorakte ging jedoch weit darüber hinaus: Bürger
aus über 80 verschiedenen Staaten starben im Wolrd-Trade-Center,
durch einen unerhörten Exzess des Hasses.
Diese Erfahrung sollte die verschiedenen Staaten eher verbindenund nicht
trennen. Es sollte uns allen vor Augen führen: wenn wir dem Haß
nicht wirklich frühzeitig entgegenwirken, dann sind wir sehr, sehr
verwundbar. Rudolph Giuliani war damals jedoch nicht nur mit der Gewalt der anderen
konfrontiert - er beschäftigte sich auch mit der Gewaltbereitschaft
seiner eigenen Leute: Nachdem die Stadtverwaltung wieder handlungsfähig war und erste Hilfsmaßnahmen
eingeleitet hatte, wandten sich meine Gedanken sehr schnell einer
Frage zu: würden die New Yorker jetzt Menschen mit arabischem
Aussehen angreifen - als Reaktion auf die Gewalt?
Nun werden bei uns schon seit Jahren Statistiken über rassistisch
motivierte Übergriffe geführt. Und dadurch habe ich mir in den
Wochen nach dem 11. September einen guten Überblick verschaffen können.
Immer wenn es zu Vergeltungs- handlungen gegenüber Muslimen gekommen
ist, egal ob es Worte waren oder konkrete Taten, dann konnte ich mit
Hilfe dieser Statistik deutlich machen, daß hier jemand aus Rache
gehandelt hat. Und daß wir das sicher nicht wollen. Und ich glaube, das hat mit dazu beigetragen, daß es in der Stadt New
York keine Ausschreitungen gegeben hat. Denn das wäre ja so ziemlich das schlimmste gewesen, was passieren könnte:
wenn wir uns ebenso verhalten hätten, wie diejenigen, die uns
angegriffen haben. Rudolph Giuliani empfiehlt nicht nur die Führung von genauen Statistiken über
rassistisch motivierte Übergriffe. Er regt noch eine weitere Maßnahme
an: Es geht darum, innerhalb der einzelnen ethnischen oder religiösen
Gemeinschaften Gruppen zu schaffen, die sofort auf rassistisch
motivierte Übergriffe reagieren.
Es gab da zum Beispiel den Fall eines 16-jährigen Schülers, Ari
Halberstam, der auf der Brooklyn Bridge ermordet wurde. Da gab es Menschen aus den verschiedensten Communities, die diese Tat
sofort verurteilt haben. Ich bin damals gemeinsam mit Vertretern des
Judentums und des Islams an die Öffentlichkeit gegangen, und wir
alle haben klar gemacht, dass das eine verwerfliche Tat war, dass
die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden müssen.
Es ist sehr, sehr wichtig, solche Gruppen einzurichten. Dass es zum
Beispiel Muslime gibt, die sofort Gewalttaten anderer Muslime
verurteilen. Denn nur so kann klar gemacht werden, dass die große
Mehrheit der Muslime einfach aus guten und anständigen Menschen
besteht. |