Erfüllte Zeit

09. 11. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel" (Johannes 2, 13 - 22)

Kommentar: Prof. Wolfgang Langer

 

Wundern Sie sich? Wir feiern heute nicht, wie Sie vielleicht erwartet haben, Sonntag, „den ersten Tag der Woche als den Tag, an dem Christus von den Toten erstanden ist“ (Hochgebet). Nein, wir feiern Kirchweih, den Weihetag der Lateranbasilika in Rom. Noch von Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert erbaut, war sie mehr als tausend Jahre lang Sitz der Päpste (die erst im 15. Jh. auf den vatikanischen Hügel nach St. Peter übersiedelten). Deshalb gilt sie bis heute als „Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises“. Wir feiern ein Gebäude? Ja, ein dem Gottesdienst „geweihtes“, der Versammlung des Gottesvolkes um den Altar dienendes und darum „heiliges“ Haus. Wenn wir unsere Kirchen „Gotteshäuser“ nennen, dann könnte das so verstanden werden, als seien das die Orte, an denen Gott wohnt.

In katholischen Kirchen wird das besonders nahegelegt. Da steht meist an hervorgehobener Stelle, auf dem Hochaltar der Tabernakel, der die konsekrierten Hostien enthält. Als Zeichen der „Gegenwart des Herrn“ brennt davor eine rote Lampe, das „ewige Licht“.

Im heutigen Evangelium nennt Jesus den Tempel in Jerusalem auch „das Haus meines Vaters“. Die Vertreibung der Viehhändler und Geldwechsler hätte also den Sinn, die Heiligkeit der „Wohnung Gottes“ zu wahren oder wieder herzustellen, den Tempel nicht zu einer Markthalle verkommen zu lassen. Aber der Protest Jesu reicht tiefer. Er richtet sich dagegen, Tiere zur Verehrung Gottes zu schlachten und zu verbrennen, und mit der Tempelsteuer den Opferdienst der Priester im Heiligtum zu bezahlen. Seine Kritik meint den Tempelkult überhaupt, den jüdischen wie jeden anderen „Reißt diesen Tempel nieder!“

Die Vorstellung vom Tempel als Haus JHWHs wurde in Israel schon früh in Frage gestellt, am deutlichsten von den Propheten: „Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füße. Was wäre das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet?“ (Jes 66,1). So weist der Satz Jesu: „in drei Tagen werde ich ihn (den Tempel) wieder aufrichten“, in eine ganz andere Richtung, nämlich auf seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung „am dritten Tag“ (1Kor 15,4). In dieser Welt ist Gott da, wo der vom Tod auferweckte Christus lebendig gegenwärtig ist: in seiner Gemeinde, die aus seinem Geist lebt. Die kann sich notfalls auch in einer Bretterhütte versammeln oder in Zeiten der Verfolgung in einem dumpfen Keller Eucharistie feiern oder, wie ich es als Kind in der norddeutschen Diaspora erlebt habe, in einem Gasthaussaal, der vom Tanzvergnügen der vergangenen Nacht noch verraucht war und nach Bier roch.

Nein, das „Haus des Herrn“ besteht nicht aus toten Steinen, und seien sie noch so prächtig geschmückt. Im ersten Petrusbrief werden die Christen aufgefordert: „Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus aufbauen, zu einer heiligen Priesterschaft, um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen, die Gott gefallen!“ (1Petr 2,5). Und zwei Kapitel nach unserem heutigen Evangelium lässt der Evangelist Johannes Jesus im Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen sagen: „Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24).

Zu glauben, dass Gott in Häusern wohne, dass man ihn in „Gotteshäusern“ ortsfest machen könne, hat mit dem Gott, den Jesus verkündet hat, nichts zu tun, auch nicht mit dem Glauben Israels an den „mitgehenden“ JHWH. Es wäre ein Rückfall ins Heidentum. Auch wenn man das dem heutigen Fest nicht unterstellen will – muss man darauf verzichten, den Sonntag in der Jahresreihe als wöchentlichen „Herrentag“ zu begehen, um den Gedenktag der vor mehr als anderthalb Jahrtausenden erfolgten „Weihe“ eines noch so ehrwürdigen römischen Kirchengebäudes zu feiern?

Nein, wir feiern kein Bauwerk. Wenn das „Fest“ überhaupt einen Sinn haben soll und nicht nur einen römischen Universalanspruch ausdrücken will, dann gedenken wir der unzähligen Gemeinden von Christen, die sich heute auf dem ganzen „Erdkreis“ versammeln, um den Tod und die Auferstehung ihres Herrn zu feiern. Er ist ihnen als ihr Bruder überall nahe, damit sie durch ihn und in ihm das Leben haben. Paulus bringt es auf den Punkt: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ (1Kor 3,16).

 

 

 

 

 

 

 

Rabbi Josua und der Kaiser, Der Gott zu sehen wünschte

 

Die Geschichte geschah. Der Kaiser fragte Rabbi Joshua (ben Chananja): „Ich wollte gern euren Gott sehen.“ Da sprach Rabbi Josua zum Kaiser: „Du kannst ihn nicht sehen.“ Da sprach der Kaiser: „Fürwahr, du musst ihn mir zeigen.“

 

Da ging Rabbi Josua und führte den Kaiser mit sich hinaus aufs Feld. Und das war eben im Tammuz (Juli/August), in dem die Sonne heiß scheint. Da sprach Rabbi Josua zum Kaiser: „Nun sieh zum Himmel hinauf, so wirst du Gott sehen.“ Und wies den Kaiser an, er solle in die Sonne sehen. Da sprach der Kaiser zu Rabbi Josua: „Ich kann nicht über mich in die Sonne sehen.“ Da entgegnete Rabbi Josua dem Kaiser: „Nun sieh! An diesem Tag dient einer seiner Diener dem Heiligen, gepriesen sei Er, und du kannst ihn nicht sehen. Denn die Sonne ist nur ein Diener des Heiligen, gepriesen sei Er; um wie viel mehr (mikól schekén) trifft es zu, dass du den Heiligen, gepriesen sei Er, selbst gar nicht sehen kannst.“

 

Wie das der Kaiser hörte, da war er es zufrieden.

 

Rabbi Josua, geb. um 40 n. Z., war einer der Führer der Israeliten zu Zeiten römischer Bedrängnis; er intervenierte in Rom zugunsten seines Volkes.

In diesem Gleichnis geht es um die Schechina (schechine), um „die konkrete, blendende Gegenwart Gottes“.

 

(Aus: Das Ma `assebuch – Altjiddische Erzählkunst – dtv, Deutscher Taschenbuch Verlag)