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Erfüllte Zeit15. 02. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
"Seligpreisungen und Weherufe" (Lukas 6, 17. 20 - 26)
von Veronica Schwed (Theologin,
Pastoral- assistentin in Herzogenburg und Religions- lehrerin in
Krems) Wohl euch! Weh euch!
Diese beiden Rufe bestimmen das heutige
Evangelium.
Wohl euch! Weh euch!
Das ist Lob und Anklage, Wertschätzung und
Ablehnung.
Ich meine, Jesus richtet hier nicht die
Menschen. Er teilt sie nicht in Gute und Böse ein. Ich habe auch
nicht das Gefühl, dass hier ein „Grundsatzprogramm“ verkündet
wird. Jesus wirkt auf mich hier vielmehr wie ein
betroffener Beobachter: Die Menschen um ihn herum sind selbst ihr
eigenes Urteil.
Jesus ist
umgeben von Leuten, die ihn hören wollen, Wunder erhoffen,
neugierig auf ihn sind und ihn einschätzen möchten. Die Verse zu
Beginn des Textes, die in der Leseordnung der Kirche leider
ausgelassen werden, heißen in der Übersetzung von Walter Jens: „Eine
riesige Menge, Scharen von Menschen folgten ihnen nach, um ihn zu hören
und geheilt zu werden von ihrer Krankheit. Und sie wurden geheilt,
alle, von ihren Schmerzen und den wilden Gedanken in ihrem Herzen.
Sie berührten sein Gewand und seine Haut, Frauen und Männer, denn
es ging große Macht von ihm aus.“
In dieser Situation schaut Jesus seine Jünger
und Jüngerinnen an. - Es scheint mir als würde er sie in diesem
Moment erst bewusst wahr nehmen. Er sieht um sich herum Arme,
Hungrige, Traurige, Verhasste. Gerade Menschen, die sonst am Rand
der Gesellschaft stehen, kommen zu ihm und erwarten von ihm Trost
und Hoffnung. Und während Jesus diese Menschen voll
Zuneigung und Mitleid betrachtet, wird ihm bewusst, wer an ihrem
Elend Schuld trägt: die Reichen, Gierigen, die es sich voller
Schadenfreude selbstgerecht gut gehen lassen.
Und es überkommt ihn Wut gegen die
Hartherzigen, die jene verachten, die ihm am Herzen liegen.
Haben Sie schon einmal mit diesem Gefühl „Zeit im Bild“ gesehen, oder „Thema“ oder den „Report“?
Wenn von Flüchtlingen berichtet wird oder von
missbrauchten Kindern oder von Bomben, die irrtümlich Zivilisten
treffen? Wenn ich solche Beiträge sehe, dann verstehe ich die
Wehe-Rufe Jesu! Dann bin ich ihm dankbar dafür, dass er Klartext
spricht und nicht nur salbungsvoll redet.
Ich sehe diese Perikope nicht primär als einen
Text gegen jemanden, sondern zuerst spricht sich Jesus für
bestimmte Menschen aus, macht sich zu ihrem Anwalt. Indem er Partei
ergreift, ergibt sich daraus ein „gegen jemand anderen“.
Im ersten Teil, bei den sogenannten
Seligpreisungen oder „Wohl – Rufen“, wie ich sie lieber nennen
möchte, spricht Jesus eben diese Menschen um sich herum an:
Die Armen, die schlicht und einfach leben, ohne
abhängig zu sein von Luxus und Besitz.
Die Hungrigen, die sich öffnen, Sehnsucht
haben, wach und dünnhäutig sind.
Die Weinenden, die Gefühle zulassen und nicht
verhärtet sind.
Und die Verfolgten, Ausgeschlossenen, Geschmähten,
Verachteten, Gejagten: Sie tröstet Jesus mit dem Gedanken an die
Propheten, denen es ebenso ergangen ist. Bei den Wehe – Rufen wendet sich Jesus gegen
die, die das Leid der anderen zu verantworten haben:
Gegen die Reichen, die keinen Trost mehr zu
erwarten haben.
Gegen die Prasser, die sich jetzt voll stopfen.
Gegen die Spötter, denen das Lachen schon
vergehen wird Arme, Hungrige, Weinende, Verfolgte auf der
einen Seite, Flüchtlinge, Ausgebeutete, Missbrauchte, Minderheiten auf der einen Seite, Waffenfabrikanten, Kinderschänder, Zyniker,
Volksverhetzer auf der anderen. Jesus hat nicht moralisiert, er hat die
Menschen nicht in Gute und Schlechte eingeteilt.
Er gibt vielmehr ein Wort mit, mit dem ich auf
das Evangelium des kommenden Sonntags vorgreife, weil es hier
unbedingt dazugehört:
Habt eure Feinde lieb! Tut Menschen Gutes,
die euch verfolgen mit ihrem Hass. Segnet alle, die euch verfluchen.
Bittet für den, der euch schmäht... – Handelt an allen Menschen
so, wie ihr selbst behandelt sein möchtet.
Diese goldene Regel ist der Ausweg aus der Spirale von Gewalt, Unterdrückung, Hass und Leid. |