Erfüllte Zeit

21. 03. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Gleichnisse vom verlorenen Schaf, der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn“      Lukas 15,1 – 3.11 - 32

 

 

von Pater Johannes Aichinger

 

 

Das 15. Kapitel leitet Lukas schon mit dem Vers davor ein: „Wer Ohren hat zum Hören, der höre!“ Und dann erzählt er drei Gleichnisse: vom wiedergefundenen Schaf, von der entdeckten Drachme und vom verlorenen Sohn – oder von den verlorenen Söhnen. Anscheinend Verlorenes ist in den Augen Gottes gerade nicht verloren!

Der jüngere Sohn fordert von seinem Vater das Erbteil. Er gibt vieles auf, was zur Zeit Jesu Leben ausgemacht hat: die Familie, das Vaterhaus, die Heimat. - In einem fernen Land verliert er, was er sich in seinem Lebenshunger als „Leben“ vorgestellt hat: genug Geld haben und gut leben – er bringt alles durch. Frei sein – er gibt seine Freiheit auf, er macht sich von einem Bürger des Landes abhängig. – Er muss Schweine hüten. Damit gibt er seine Religion auf. Ein einziges bleibt ihm von seinem Lebenshunger über: der Hunger und die Gier nach dem Schweinefutter.

 

„Ich will leben!“ Darum geht der Sohn in sich. Er bricht auf, er geht zu seinem Vater. Stück für Stück bekommt er sein Leben zurück geschenkt. Sein Lebenshunger wird gestillt. Sein Vater hat Mitleid, er verzeiht ihm: der Sohn erfährt Liebe. Der Vater setzt ihn wieder als Sohn und Erben ein – der Sohn bekommt seine Würde zurück geschenkt. Ein Fest wird gefeiert – dem Sohn wird Freude zuteil.

 

„Ich will nicht umkommen! Ich will leben!“ – Es kommt vor, dass heute Menschen auf Grund eigener Entscheidung und anderer Begebenheiten in ihrem Lebensdurst alles verlieren, was heute „das Leben“ lebenswert macht: Familie, Arbeit, Besitz, Leistungsfähigkeit … - dass sie z.B. auf Grund einer Suchterkrankung sozusagen „bei den Schweinen landen“. Das geschieht - auch in unserer Gesellschaft, die voller Lebenshunger steckt.

 

„Ich will leben!“ Gott erspart dem Menschen als Teil des Versöhnungsweges die Einkehr, die Umkehr nicht. Für mich ist es berührend, dass die „Anonymen Alkoholiker“ in ihrem 12-Schritte-Programm ganz klare Schritte der Umkehr benennen. Die 12 Schritte sind ein klares und hartes Programm der Buße und Umkehr. Ein Beispiel: 4. Schritt: Wir machten eine gründliche und furchtlose Inventur in unserem Innern. Die Inventur, die Umkehr, das sind Zeichen für einen vitalen Lebenshunger!

 

Gott läuft, voller Mitleid, entgegen. Gott, der barmherzige Vater, liebt uns - auf mütterliche und väterliche Art in unaussprechlicher Weise. Das ist das Wunder der Liebe Gottes – und es kann sich auch hier und heute ereignen. Darum ist diese Gleichniserzählung ein „Hohelied der Liebe Gottes“ im Lukasevangelium.

 

Dann ist da noch der zweite, der ältere Sohn. Auch ihm geht der Vater entgegen. Der Sohn rechnet dem Vater seine Verdienste und die Vergehen seines Bruders vor. – Auch er scheint verloren zu gehen: An der festlichen Gemeinschaft will er nicht teilnehmen; er will draußen bleiben. – Wir können verstehen, dass sich der ältere Sohn benachteiligt fühlt. Aber „Fest“, das bedeutet für den Juden Jesus nicht nur frohes Beisammen sein – „Fest“ bedeutet Freude über alles, was Gott uns schenkt. „Fest“ ist aber ein Bild für die Königsherrschaft Gottes. Teilnahme am Fest ist darum Bild für die Gemeinschaft mit Gott – Nichtteilnahme bedeutet einen Bruch der Gemeinschaft! Darum kann man unser Evangelium auch das „Gleichnis vom eingeladenen Sohn nennen!

 

„Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wieder gefunden worden.“ Ob der ältere Bruder zum Fest kommt bleibt offen. Jesus wendet den Kunstgriff eines offenen Schlusses an. Mit diesem Ende „mitten drin“ fordert er die Pharisäer und Schriftgelehrten, aber auch uns zur Stellungnahme auf: Wie würde ich handeln? – Bleibe ich draußen - oder nehme ich am Fest teil?