Erfüllte Zeit

11. 04. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

"Die Botschaft der Engel im leeren Grab"
(Lukas 19, 28 - 40)
Kommentar: Prof. Philipp Harnoncourt

 

 

Gregor von Nyssa

 

 

Prof. Philipp Harnoncourt

Das Evangelium der Osternacht, das eben vorgelesen worden ist – es ist wiederum vom Evangelisten Lukas geschrieben, wie das vom Palmsonntag und das vom Ostermontag –, spricht von einem Weg, wie diese beiden anderen.

 

Frauen gehen am dritten Tag nach dem Tod Jesu in aller Frühe zu seinem Grab, um ihm wenigstens noch jenen Dienst zu erweisen, der zwischen seiner Abnahme vom Kreuz und seinem sehr eilig vorgenommenen Begräbnis nicht mehr möglich war, ohne sich unrein zu machen.

 

Sie hätten am jüdischen Ostermahl nicht teilnehmen können, wenn sie nach Sonnenuntergang einen Leichnam berührt hätten, und der folgende Tag war außerdem auch noch ein Sabbat.

 

Jetzt aber wollten sie den Leichnam Jesu salben. Ihre große Zuneigung zu ihm kommt darin zum Ausdruck, dass sie selbst die wohlriechenden Salben bereitet hatten.

 

Niemand von den Menschen, die Jesus begleitet haben, erwarten ein Wunder. Er, auf den sie ihre Hoffnungen gesetzt haben, er, der Tote auferweckt hatte, er war jetzt selbst tot.

 

Die Repräsentanten der offiziellen Religion – die Ältesten, die Schriftgelehrten und die Hohenpriester – hatten seine Hinrichtung verlangt, ein aufgewiegelter Mob lautstark seine Kreuzigung gefordert, und die Inhaber der politischen Macht – der bedeutungslose Schattenkönig Herodes der Jüngere und der römische Statthalter Pontius Pilatus hatten schließlich zugestimmt.

 

Wie eine riesige Seifenblase war das vielversprechende Wirken Jesu gewissermaßen geplatzt und vernichtet.

Die Männer, die zu Jesus gehört hatten – seine Apostel und die übrigen Jünger – waren zwar anscheinend irgendwo in Jerusalem beisammen, aber ein Gang zum Grab lag ihnen fern. Zu groß war ihre Enttäuschung, vielleicht sogar ihre Verbitterung darüber, einige Jahre mit diesem Wunder-Rabbi vertan zu haben. Manche hatten schon von großen eigenen Karrieren geträumt.

Einige machen sich schon bereit, um diesen Kreis schleunigst zu verlassen.

 

Wir haben auch heute – ebenso wie schon am Palmsonntag – zu beachten, dass die Evangelisten ihre Berichte nicht in den Tagen der geschilderten Ereignisse niedergeschrieben haben, gleichsam als Protokoll des Geschehens, sondern erst viel später, als sie bereits Zeugen des Glaubens an die Auferstehung Christi waren.

Umso erstaunlicher ist es, in wie einem schlechten Licht sie sich selbst darstellen.

Die Frauen kommen allerdings etwas besser weg.

 

Wann immer in den Evangelien von Wegen gesprochen wird, auf denen sich etwas ereignet, gibt es neben dem oder hinter dem, was geschildert wird, etwas Besonderes zu beachten: einen Prozess – das heißt wörtlich einen Vorgang – der Glaubensbedeutung enthält. Glauben ist ja ein solcher Vorgang, eine Bewegung in einer bestimmten Richtung, gewissermaßen ein „Sich-verlassen-auf“. Im Vorgang bleibt etwas zurück, und Neues wird erreicht.

 

Der Weg der Frauen zum leeren Grab ist der zaghafte Beginn des Weges zum Glauben an die Auferstehung. Aber dieses Ziel ist noch weit entfernt.

 

Der Bericht lässt aber den aufmerksamen Hörer österliche Zeichen in manchen Bemerkungen erkennen. Die nachösterlichen Berichterstatter haben es nicht verabsäumt, verschlüsselte Hinweise auf die Auferstehung in ihre Texte einzubauen.

 

Da ist einmal die Zeitangabe am Beginn des Berichtes: Am Ersten Tag der Woche.

Der Erste Tag der Woche – nach unserer Wochentagsordnung immer ein Sonntag – ist Gedächtnis des ersten Schöpfungstags, an dem Gott spricht: „Es werde Licht!“ Und an dem der Schöpfer scheidet zwischen Licht und Finsternis. Die Erschaffung des Lichts, das Werk des ersten Schöpfungstages, ist vollendet im Sieg des ewigen Lichts über die Finsternis von Sünde und Tod. Für die Christen wird dieser Tag zu ihrem Urfeiertag, im Gedenken an jenen Tag, an dem Christus von den Toten erstanden und seinen Jüngern erschienen ist.

 

Es folgt der Hinweis auf den Stein, der vom Grab weggewälzt war. Im österlichen Psalm 118 ist vom Stein die Rede, den die Bauleute verworfen haben, der aber zum Eckstein geworden ist, zum Stein des Anstoßes, zum Stein der zwei Wege scheidet, zum großen Prüf-Stein zwischen Leben und Tod.

 

Das leere Grab weckt zunächst keinen Auferstehungs-Glauben; es lässt – wie später zu sehen und zu hören ist – verschiedene Deutungen zu: vom gestohlenen Leichnam bis hin zum aus dem Scheintod erwachten, der aus dem Grab geflüchtet ist, um irgendwo im Osten ein neues Leben zu beginnen.

 

Zwei Männer in leuchtenden Gewändern traten zu den Frauen. Es sind zwei, das heißt, sie haben eine glaubwürdige Botschaft authentisch zu bezeugen. Und sie tragen leuchtende Gewänder, das heißt sie sind Boten des Himmels.

 

Noch ehe sie den Frauen ihre Botschaft kundtun, stellen sie jene bedeutungsschwere Frage, die den unüberhörbaren Vorwurf mangelnden Glaubens enthält: Was sucht ihr, den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier! Sie hätten als Gefolgsleute Jesu doch wissen müssen, dass ihn der Tod nicht festhalten kann.

 

Jetzt erst folgt die neue Oster-Botschaft: „Er ist auferstanden!“ und dazu die Ergänzung, dass er ja vorausgesagt hat, er werde gekreuzigt werden und am dritten Tag auferstehen.

 

Anders als im Bericht von Matthäus und Markus findet sich bei Lukas keine Aufforderung an die Frauen, den Aposteln die Auferstehung Jesu mitzuteilen, aber sie gehen und berichten ihnen, was sie gehört und gesehen haben. Sie tun es beinahe ängstlich, als wären sie sich dessen, was sie erfahren haben selbst nicht sicher!

 

Tatsächlich halten die Männer die Erzählung der Frauen für haltlose Phantastereien.

Allein Petrus macht sich auf den Weg, um sich selbst ein Bild vom Geschehen zu machen. Aber auch er kommt über eine große Verwunderung über alles, was geschehen war, noch nicht hinaus!

 

Der Weg zum leeren Grab, der Bericht vom leeren Grab und auch der Lokalaugenschein beim leeren Grab führen noch nicht zum Glauben an die Auferstehung.

 

Der Auferstandene selbst, und nur er selbst bringen den Seinen die Gewissheit, dass er auferstanden ist.

 

 

Gregor von Nyssa

Den Korinthern, die ihm Bedenken entgegenhielten, um unseren Glaubenssatz von der Auferstehung zu Fall zu bringen, entgegnete Paulus: „Du willst mich fragen, wie die Toten auferstehen können und mit welchen Leibern? Du Tor! Was du säest, wird nicht lebendig, es sei denn, dass es zuvor abstirbt; Und was du auch säest, du säest nie schon den zukünftigen Leib, sondern nur ein Korn, wie etwa Weizen, oder ein anderes Samenkorn. Gott aber gibt ihm einen Leib, wie es Ihm gefällt!“ (1. Kor. 15, 35 ff.) Hier scheint mir der Apostel jene zu zügeln, die wähnen, Gott vermöge nur so viel, wie sich unser Menschenverstand jeweils vorstellen kann...

 

Mir will das Wort des Apostels so scheinen, als ob es für unseren Versuch spräche, Gottes Absicht mit unserer Auferstehung vielleicht richtig gedeutet zu haben, wenn wir sie als Wiederherstellung unserer Natur in ihrem ursprünglichen Zustand beschreiben. Wir wissen ja aus der Geschichte der Welterschaffung durch die Heilige Schrift, dass die Erde zuerst Gras hervorbrachte - wie es dort in der Erzählung heißt - und dass dieses Gras Samen trug, der sich über die ganze Erde hin verstreute und dann die nämliche Art wie die Anfangspflanze erzeugte. Nach den Worten des Apostels wird es genauso auch bei der Auferstehung sein. Wir hören aber von ihm nicht nur, dass die menschliche Natur eine größere Herrlichkeit empfangen werde, sondern auch, dass diese Herrlichkeit, auf die wir hoffen dürfen, genau jener gleichen werde, welche wir im Anfang der Schöpfung hatten.

 

Denn da im Anfang nicht die Ähre vom Samen, sondern der Samen von der Ähre kam, nachher aber umgekehrt die Ähre aus dem Samen hervorwächst, so gibt uns dieses Vorbild - falls wir es folgerichtig auslegten - einen deutlichen Fingerzeig dafür, dass alle Glückseligkeit, die uns aus der Auferstehung erblühen wird, uns zur Gnade der ursprünglichen Ausstattung zurückführen soll. Denn auch wir waren zuerst reine Ähren, die jedoch durch den hässlichen Brand der Sünde dahinwelkten. Nun soll uns, wenn der Tod uns auflöst, die Erde in ihren Schoß aufnehmen. Dann aber wird dieses armselige Samenkorn des Leibes im Frühling der Auferstehung wieder zur vollkommenen Ähre werden, schlank, voll, aufrecht, zum Himmel emporstrebend, und statt mit Halm oder Stengel ist sie mit Unverweslichkeit und mit den übrigen göttlichen Eigenschaften des Himmels geschmückt...