Erfüllte Zeit

20. 05. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Himmelfahrt Jesu“ (Lukas 24,46 – 53)

Kommentar: Pfarrer Roland Schwarz

     

In zwei sehr unterschiedlichen Versionen erzählt der Evangelist Lukas die Aufnahme Jesu in den Himmel. Die eine am Ende seines Evangeliums, die andere am Beginn der Apostelgeschichte. Im Evangelium geschieht vieles an einem Tag: und zwar die Auffindung des leeren Grabes Jesu durch die Frauen, die Begegnung Jesu mit den Emmausjüngern, seine Erscheinung vor den Jüngern in Jerusalem und schließlich eben seine Aufnahme in den Himmel.

 

Im Gegensatz dazu erscheint Jesus seinen Jüngern in der Apostelgeschichte nicht nur einen, sondern vierzig Tage hindurch und erst dann erfolgt die endgültige Aufnahme durch den himmlischen Vater. Dieser und andere Unterschiede zeigen: Es geht Lukas nicht um die genaue Darstellung eines sichtbaren Vorganges, sondern um eine Aussage über Jesus mit Hilfe der Vorstellung von der Entrückung in den Himmel, die seinen Lesern und Leserinnen damals aus der jüdischen Literatur und aus der Mythologie geläufig war.

Lukas will sagen: Jesus zieht nicht endlos wie ein unruhiger Geist auf Erden umher und erscheint einmal da und dann wieder dort. Er ist vielmehr endgültig in seine eigentliche Heimat zurückgekehrt und macht jetzt Platz für das Wirken des göttlichen Geistes und für das Zeugnis seiner Jünger.

 

Für dieses Zeugnis der Jünger gibt es aber ein verzögerndes Element: Die Boten Jesu sollen nämlich nicht sofort gehen und verkündigen. Jesus bittet sie vielmehr auf die Gabe des Geistes zu warten. Eine gute Verkündigung der Lehre und des Wirkens Jesu braucht zuerst das Bedenken des Erlebten im Gebet und eine große Begeisterung für die Botschaft. Das gilt auch für uns. In Abwandlung eines Wortes von Ludwig Wittgenstein könnte man sagen: "Wovon man nicht begeistert ist, darüber soll man schweigen."

 

Ich denke, das ist für unser ganzes christliches Leben bedeutsam: Wenn wir keine Freude haben an unseren Gottesdiensten, an der Begegnung mit Jesus, wenn wir uns nicht darauf freuen, dem Freundeskreis Jesu in der christlichen Gemeinde zu begegnen, wenn wir keinen Lebensmut aus dem Glauben schöpfen, dann können wir noch so perfekte Liturgien und Pastoralkonzepte haben, sie werden niemand hinter dem Ofen hervorholen. Vielleicht sollten sich besonders alle in der Verkündigung Tätigen von Zeit zu Zeit wie die Jünger Jesu zurückziehen, um sich von neuem die Freude an dem, was sie tun, vom Geist Gottes schenken zu lassen.

 

Was für die Verkündigung gilt, das gilt auch für unsere Beziehungen untereinander. Bevor ich für einen geliebten Menschen Verantwortung in Form einer festen Freundschaft oder Partnerschaft übernehme, sollte ich mir Zeit nehmen und gründlich prüfen, ob bei mir die emotionale Grundlage für eine dauerhafte Bindung wirklich gegeben ist. Denn ohne eine vitale Freude an der Begegnung mit dem Freund werde ich ihn oder sie früher oder später enttäuschen.

 

Bemerkenswert ist, wie sehr dem Evangelisten Lukas daran liegt, alles was mit und durch Jesus geschieht, nicht als Bruch mit den Traditionen des Volkes Israel zu sehen. Ausdrücklich sollen sich die Glaubenszeugen zuerst nach Jerusalem begeben und dort verkünden. Sie bauen nicht gleich Kirchen, sondern gehen in den Tempel, um Gott zu preisen. Wenn Jesus beim Abschied seine Jünger segnet, so tut er dies natürlich nicht mit dem Kreuzzeichen, sondern nach jüdischer Sitte breitet er seine Hände über sie aus.

 

Es ist kein rührseliger Abschied, der in diesem Text geschildert wird, denn alle Beteiligten sind davon überzeugt, dass kraft des Geistes die Verbindung untereinander bestehen bleibt.