Erfüllte Zeit

08. 08. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Mahnung zur Wachsamkeit . Der Lohn der treuen Knechte“

(Lukas 12,32 – 48)

 

Kommentar:  Dr. Helga Kohler-Spiegel

 

 

Wenn es um das Leben als Christinnen und Christen geht, behandelt das Lukasevangelium immer wieder den Umgang mit Reichtum und Besitz. Lukas wird als der Evangelist der Armen bezeichnet, er könnte aber auch "Evangelist der Reichen" genannt werden, weil er immer wieder vor den Gefahren des Reichtums warnt. Für die Gemeinde des Lukas war das ein wichtiges Thema: Christinnen und Christen sind erkennbar an ihrem Umgang mit Besitz. In verschiedenen Bildern umschreibt Lukas, worauf es im Glauben ankommt: Besitz soll genutzt werden zum Teilen, zum Weitergeben an diejenigen, die weniger haben.

 

Es sind - so denke ich - für uns schwierige Texte, weil sie so klar und so provozierend sind. Was bedeuten diese Worte Jesu in unserem Alltag, in unserer Lebenswelt, wo wir gewohnt sind, Besitz anzusparen und gut anzulegen, wo wir gewohnt sind, unser Leben mit Privatpensionen und Versicherungen abzusichern? In mir sträubt sich vieles, unsere Absicherungen einfach abzulehnen und die Worte Jesu wörtlich zu nehmen: "Verkauft eure Habe und gebt den Erlös den Armen!"

 

Ein weiteres Thema wird im Text deutlich: "Seid wachsam! Der Gutsherr ist weg..." Und jetzt, im Hochsommer tauchen Szenen auf, in denen Eltern auf Urlaub sind und die Jugendlichen "sturmfrei" haben, und die Eltern dann doch früher als erwartet zurückkehren. Die Wohnung ist noch nicht aufgeräumt, die Reste von Festen sind noch nicht weggeräumt.... Im Bibeltext ist der Gutsherr nicht auf Urlaub, sondern bei einer Hochzeit. Bibelkundigen Hörerinnen und Hörern klingt hier die Assoziation zum Reich Gottes an, immer wieder vergleicht Jesus das Himmelreich mit einem Hochzeitsmahl.

 

Die frühen Christinnen und Christen lebten zuerst in der Erwartung, dass Jesus Christus als Auferstandener bald wiederkehren und sein Reich Gottes errichten werde. Doch bald mussten sich die Christen damit auseinandersetzen, dass sich die Wiederkunft Christi verzögerte. Dies wurde zu einer großen Herausforderung für den Glauben. Denn die ersten Christen mussten umdenken und sehen, wie christliches Leben auf Dauer in dieser Welt möglich ist. Wie sollen Christinnen und Christen leben, wenn sie einerseits Teil dieser Welt sind und sich doch nicht einfach an diese Welt anpassen sollen, wenn sie Zeugnis geben sollen für die Liebe, mit der Jesus die Menschen liebte.

 

Neben der Wachsamkeit steht das Dienen im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums. Es sind alte Worte für eine wichtige Erfahrung: Wir haben die Zeit unseres Lebens, die wir gestalten können. Wir wissen nicht, wie lange diese Lebenszeit für uns dauern wird, aber hier und jetzt können wir die Anliegen Jesu zu unseren eigenen machen. Wir haben unsere Lebenszeit, die Welt im Sinne Gottes zu gestalten – also „Gott zu dienen“. Es liegt an uns, bewusst zu leben und selbst Verantwortung zu übernehmen und unsere Begabungen im Sinne des Gutsherrn einzusetzen. Gott mutet uns zu, dass wir in der Zeit, die uns zum Leben geschenkt ist, seine Welt gut verwalten. Gott mutet uns zu, dass wir seine Schöpfung hüten und die anderen Menschen und uns selbst gut behandeln - in der Zeit, die uns geschenkt ist. Wir haben Zeit - es liegt an uns, diese zu nützen.

 

So erinnerte Lukas seine Gemeinde immer wieder daran: Seid wachsam! Nützt die Zeit des Lebens, nützt die Zeit, die Euch geschenkt ist. Nicht mehr das Ende der Zeit, sondern unser individuelles Ende des Lebens rückt in den Mittelpunkt. Wir kennen weder den Tag noch die Stunde, wann wir sterben werden, wann wir Gott direkt begegnen werden. Es wird überraschend sein. Und so sind wir gerufen, vorbereitet zu sein auf die Begegnung mit Gott. Denn der Text will nicht Angst vor dem Sterben auslösen oder Druck, dass wir immer und ständig im Bewusstsein des Todes leben müssen, sondern wir sollen so leben, dass wir jetzt schon in der Nähe Gottes leben und jetzt schon Gott begegnen. Wer so lebt, wie Jesus gelebt hat, muss keine Angst haben vor dem Sterben: ein solcher Mensch ist jetzt schon Gott nah, er lebt in Beziehung mit Gott - vor seinem Tod und nach seinem Tod.

 

Die Texte klingen provozierend, weil sie sich gemäß der damaligen Sprache sehr konkret ausdrücken. Sie sind - denke ich - eine Warnung, dass wir die Begrenztheit unseres Lebens nicht vergessen, weil wir so satt, so sicher und so reich sind. Sie sind aber zugleich eine starke Zusage für uns: Wir haben Zeit zum Leben, wir haben Zeit, die Welt zu gestalten.

 

Helga Kohler-Spiegel, Dr. theol., Professorin für Religionspädagogik an der Pädagogischen Akademie des Bundes, Feldkirch/Österreich. Tätig in beruflicher Fortbildung und Erwachsenenbildung, Praxis für Beratung, Supervision und Coaching