Erfüllte Zeit

25. 12. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Geburt Jesu“ (Lukas 2,1 – 14)

 

von Kardinal Dr. Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien

 

Es ist dieses Evangelium ein erstaunlicher Kontrast zwischen dem ganz Großen der Weltgeschichte und dem scheinbar ganz Kleinen und Unscheinbaren, was in Bethlehem geschieht. Der große, geschichtliche Rahmen wird gesetzt durch Kaiser Augustus. Der Kaiser schlechthin, der Friedenskaiser, der Kaiser, der dem römischen Reich seinen größten Glanz gegeben hat. In seiner Zeit, die geradezu als die Zeit des Friedensreiches schlechthin dargestellt wird, so hat sie der römische Dichter Vergil besungen, in dieser Zeit wird in Bethlehem, in einem winzigen kleinen Ort, in einer Randprovinz des römischen Reiches, von einem armen Paar aus Galiläa stammend, ein Kind geboren. Man könnte nicht deutlicher den Kontrast zwischen der weltlichen Größe und der menschlichen Kleinheit dieses Ereignisses darstellen. 

 

Freilich schreibt der Evangelist diskret und immer deutlicher werdend den Kontrast der Größe des im Verborgenen Geschehenden in das Evangelium ein. Da ist zuerst der Hinweis auf einen Mann aus Nazareth in Galiläa, Josef mit Namen, der – so heißt es – aus dem Haus und Geschlechte Davids war. Das heißt, er stammt aus königlichem Geschlecht, er ist einer der Nachfahren des großen Königs David. Und dann, bei aller Armut und Armseligkeit des Geschehens – es ist in der Herberge kein Platz für sie – so müssen sie das Kind, das geboren wird in dieser Nacht, in eine Krippe legen, in einen Stall. Dieses kleine Kind wird nun plötzlich beleuchtet, nicht von der großen Politik, nicht von den großen Weltmächten, sondern vom Himmel selbst. Licht leuchtet auf in dieser Nacht, Hirten, die dort Wache halten, sehen ein Licht, den Glanz des Herren, hören Engel, die zu ihnen sprechen, der Himmel tut sich auf über dieser armen Szene einer Geburt in einem Stall. 

 

Nicht der Kaiser steht plötzlich im Mittelpunkt, sondern der Himmel selbst. Und der Himmel steht hier für Gott, der gewissermaßen mit seinem Raum dem Himmel gegenwärtig ist. Engel – die himmlische Welt selbst, verkünden, was in dieser Nacht geschieht. Und was sie künden, ist etwas, was weit über die Berühmtheit des Kaisers Augustus hinausgeht. Auch der Kaiser wurde Retter genannt, er wurde Friedensbringer genannt, aber hier kündet der Himmel eine noch größere Freude, eine unvergleichlich größere Freude: „Heute ist euch der Retter geboren!“ Nicht irgendeiner, sondern der Retter schlechthin, der Messias, der Verheißene, von Gott Gesalbte und er wird genannt: der Herr. 

 

Der Gottesname wird ihm gegeben, ihm, diesem kleinen Kind, das als Zeichen ihnen genannt wird den Hirten. „Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt. Er ist der Messias, er ist der Herr“. Kyrios heißt es im Griechischen, das war einer der großen Titel des Kaisers. Der Herr der Welt, der größte Machthaber, nein,

Gott selbst. Dieses Kind, dieses kleine Kind, der große Gott. Und das Ende der Szene ist nicht mehr Rom und der Kaiser, sondern das himmlische Heer selbst, das Gott lobt und spricht: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Frieden bei den Menschen seiner Gnade.“