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Erfüllte Zeit25. 12. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Im
Anfang war das Wort.“ Dies ist so zu verstehen: Ich, der Ich ohne
Ursprung bin und von dem jedes Beginnen ausgeht, und der Ich der
Alte der Tage bin, Ich sage: Ich bin Tag aus Mir selber, ein Tag,
der nicht aus der Sonne erstrahlt, durch den vielmehr die Sonne
entflammt ward. Ich bin auch die Vernunft, die nicht von einem
anderen her sich vernehmbar macht, aus der vielmehr alles vernünftige
Wesen atmet. So habe Ich zur Anschauung Meines Antlitzes Spiegel
geschaffen, in denen Ich alle Wunder Meiner Ursprünglichkeit, die
nimmermehr aufhören, betrachte. Ich habe Mir dieses Spiegelwesen
bereitet, auf dass sie im Lobgesang mitklingen, denn Ich habe eine
Stimme wie Donnerklang, mit der Ich das gesamte Weltall in
lebendigen Tönen aller Kreatur in Bewegung halte. Dieses habe Ich
gemacht, Ich, der Alte der Tage. Durch mein Wort, das ohne Anfang in
Mir war und ist, ließ Ich ein gewaltiges Leuchten, und in ihm unzählbare
Funken, die Engel, hervorgehen. Als diese jedoch in ihrem Lichte zu
Bewusstsein kamen, vergaßen sie Meiner und wollten so sein, wie Ich
bin. Deshalb verwarf die Rache Meines strafenden Eifers im
Donnertosen diese Wesen, die sich angemaßt hatten, Mir zu
widersprechen. Denn es ist nur ein Gott, und kein anderer kann Gott sein. Danach
sprach Ich Mein kleines Werk, das der Mensch ist, in Mich hinein.
Dieses formte Ich nach Meinem Bilde und Gleichnis, damit es sich
darin auf Mich zu verwirkliche, weil Mein Sohn das Gewand des
Fleisches als Mensch annehmen wollte. Jenes Werk habe Ich aus meiner
Vernunft geistig ausgestattet und in ihm Meine Möglichkeit
aufgezeichnet, ähnlich wie der Geist des Menschen in seiner künstlerischen
Fähigkeit durch Namen und Zahlen alles begreift.
aus: Hildegard
von Bingen: „Gott sehen“, Verlag Piper |