Erfüllte Zeit

26. 12. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Flucht nach und die Rückkehr aus Ägypten“ (Matthäus 2,13 – 15.19-23)

 

von Regens Josef Suntinger

 

 

Am Fest der Hl. Familie habe ich seit jeher am unliebsten gepredigt, denn hier scheint tatsächlich in der Liturgiereform etwas missglückt zu sein: Der Sonntag in der weihnachtlichen Festwoche, die dem Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes gewidmet ist, wurde vom Familienthema überlagert. 

 

Erst in den Siebziger Jahren hat man die Gebete und Lesungen dieses Tages ganz auf das Thema „Familie“ abgestimmt und den ersten Sonntag der weihnachtlichen Festzeit zu einem Ideenfest gemacht. Der heutige Evangelienabschnitt wurde z.B. so zusammen geschnitten, dass der Text, der Jesus mit Mose und der Befreiung es Gottesvolkes aus der Sklaverei Ägyptens in Verbindung bringt, eher zu einer einfachen, wenn auch berührenden Erzählung von der Hl. Familie wurde, ihrer dramatischen Flucht nach Ägypten und ihrer Heimkunft in das Land der Verheißungen. 

 

Die liturgischen Texte selber leiten den Prediger dazu an, über etwas zu sprechen, das zwar enorm wichtig ist, aber nur sekundär mit dem Sonntag in der Weihnachtsfestwoche zu tun hat: Und so hört man an diesem Tag gewöhnlich engagierte, zuweilen auch moralisierende Predigten zur Familien- und Flüchtlingsproblematik; während das Evangelium immer noch erkennen lässt, was eigentlich Gegenstand dieses Festtages ist:

Nicht so sehr das Thema „Familie“, auch nicht das Vorbild der Hl. Familie, sondern das Kind, Jesus und der Plan Gottes mit uns Menschen, der sich in Ihm erfüllt. Nicht nur im heutigen Evangelienabschnitt, sondern in der gesamten Kindheitsgeschichte Jesu, in die die Perikope eingebettet ist, zitiert Matthäus eine Fülle von alttestamentlichen Texten, die das Kind, Jesus, als Sohn Gottes erscheinen lassen, als Sohn Abrahams und des Königs David, als neuen und größeren Mose, als leidenden Gottesknecht wie Jeremia und Gottgeweihten wie der starke Samson, kurz als den, der stark genug ist, um das Gottesvolk Israel und die gesamte Menschheit zu erlösen. Es geht schlicht um das unfassbare Geheimnis der Menschwerdung Gottes.

 

Josef wird dabei zum Bild des modernen Menschen, der hier in etwas hineingezogen wird, das er schwer begreifen kann. Er scheint den Plan Gottes nicht richtig zu erfassen, vieles bleibt für ihn im Dunkeln. Gott spricht zu ihm im Traum: Wie wirklich ist das, was ihm langsam im Innersten seines Herzens aufgeht?  Viermal erscheint der Engel Gottes dem Josef im Traum: Das erste Mal als er sich damit konfrontiert sieht, dass Maria, seine Verlobte, ein Kind erwartet, das nicht von ihm ist: „Josef, Sohn Davids, scheue dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen, denn was in ihr gezeugt ist, ist vom Hl. Geist. Sie wird einen Sohn gebären, und du sollst ihm den  Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen!“ Als Nächstes kommt die Anweisung des Engels nach der Geburt Jesu in Bethlehem: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten, … denn Herodes will nach dem Kind suchen, um es zu töten.“ Nachdem Herodes und seine Leute tot sind, folgen schließlich die Anweisungen, in das Land Israel heimzukehren und sich in Nazareth niederzulassen.

 

Während die orthodoxe Weihnachtsikone Josef noch als Zweifler am unteren Bildrand darstellt, dem erst der Prophet Jesaja das Geheimnis erschließen muss, sehen wir hier den Josef, der sich auf Grund dessen, was er im Traum erkannt hat, schon auf Gott einlässt und so daran mitwirkt, dass sich der große Plan Gottes mit uns Menschen erfüllt.

 

Gott braucht auch heute Menschen wie Josef, die den innersten Anregungen ihres Herzens folgen, sich auf Seine Pläne mit der Welt einlassen und daran mitwirken, auch wenn dabei vieles im Dunkeln bleibt und schwer fassbar ist. Einem solchen Menschen bin ich in einer kleinen Schwester von Jesus aus Kärnten begegnet. In einem feierlichen Gottesdienst hat sie Gott ihr endgültiges Versprechen gegeben, so eine Art ewiges Gelübde. Sinngemäß hat sie ungefähr Folgendes gesagt: „Gott ich lege meine Hand in die Deine und verspreche Dir, Deinem Willen zu folgen, soweit ich ihn in den Zeichen der Zeit und in der Tiefe meines Herzens erkenne.“ Inzwischen hat sie ihr „Traum-Engel“ zu den einfachsten Menschen in der Wüste Sahara und in Ägypten geführt. Eine schwere Krankheit hat ihr das Geheimnis der Liebe Gottes vermutlich zumindest zeitweise verdunkelt. Ich bin aber davon überzeugt, dass sie im Einlösen ihres Versprechens nicht nur selber dem Geheimnis Gottes und der Menschwerdung Seines Sohnes auf die Spur gekommen ist, sondern es auch vielen anderen, durch ihr Lebensbeispiel einwenig erschließen konnte.