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Erfüllte Zeit26. 12. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Was im Leib
die Seele ist, das sind in der Welt die Christen“ Die Christen sind weder durch Heimat noch durch Sprache und Sitten von den übrigen Menschen verschieden. Sie bewohnen nirgendwo eigene Städte, bedienen sich keiner abweichenden Sprache und führen auch kein absonderliches Leben. Keineswegs durch einen Einfall oder durch den Scharfsinn vorwitziger Menschen ist ihre Lehre entstanden, wie sie auch keine menschliche Schulweisheit wie andere vertreten. Sie bewohnen Städte von Griechen und Nichtgriechen, wie es einem jeden das Schicksal beschieden hat, und fügen sich der Landessitte in Kleidung, Nahrung und sonstiger Lebensart, legen aber dabei einen wunderbaren und anerkanntermaßen überraschenden Wandel in ihrem bürgerlichen Leben an den Tag. Sie bewohnen
ihr jeweiliges Vaterland, jedoch nur wie Beisassen. An allem
beteiligen sie sich wie Bürger und lassen sich alles gefallen wie
Fremde. Jede Fremde ist ihnen Vaterland und jedes Vaterland eine
Fremde. Sie heiraten wie alle andern und zeugen Kinder, setzten aber
die Geborenen nicht aus. Sie haben gemeinsamen Tisch, aber kein
gemeinsames Lager. Sie sind im Fleische, leben aber nicht nach dem
Fleische. Sie weilen auf Erden, aber ihr Wandel ist im Himmel. Sie
gehorchen den bestehenden Gesetzen und überbieten in ihrem
Lebenswandel die Gesetze.
Sie lieben
alle und werden von allen verfolgt. Man kennt sie nicht und
verurteilt sie doch, man tötet sie und bringt sie dadurch zum
Leben. Sie sind arm und machen viele reich; sie leiden Mangel an
allem und haben an allem Überfluss. Sie werden missachtet und in
der Missachtung verherrlicht; sie werden geschmäht und doch als
gerecht befunden. Sie werden gekränkt und segnen, werden verspottet
und erweisen Ehre. Sie tun Gutes und werden wie Übeltäter
gestraft. Mit dem Tode bestraft, freuen sie sich, als würden sie
zum Leben erweckt.
Um es kurz zu
sagen: Was im Leib die Seele ist, das sind in der Welt die Christen.
Die Seele wohnt zwar im Leib, stammt aber nicht aus dem Leib; so
wohnen die Christen in der Welt, sind aber nicht von der Welt. Die
unsichtbare Seele ist in den sichtbaren Leib eingegossen; so weiß
man zwar von den Christen, dass sie in der Welt sind, aber ihre
Religion bleibt unsichtbar.
Unsterblich
wohnt die Seele im sterblichen Zelt; ebenso wohnen die Christen im
Vergänglichen, erwarten aber die Unvergänglichkeit im Himmel.
Schlecht bedient mit Speise und Trank, wird die Seele vollkommener;
auch die Christen nehmen, wenn sie mit dem Tode bestraft werden, von
Tag zu Tag zu. In eine solche Stellung hat Gott sie versetzt, und
sie haben nicht das Recht, ihren Platz zu verlassen.
aus: Das
Christentum erschlossen
und kommentiert von Hubertus Halbfas, Verlag Patmos
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