Erfüllte Zeit

27. 02. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Das Gespräch am Jakobsbrunnen und die Aufnahme bei den Samaritern“ 

(Johannes 4, 5 - 42)

 

von Pfarrer Roland Schwarz

 

 

Die Frau aus Samárien und der erschöpfte Jude Jesus tun sich zunächst beim Gespräch in der glühenden Mittagssonne schwer miteinander. Sie reden zwar beide über das Wassertrinken, aber die Samariterin merkt nicht, dass für Jesus das Wasser und die Quelle Bilder für eine andere Wirklichkeit sind. Ihm geht es um eine Quelle, die den Menschen von seinem Inneren heraus erfrischt: um die Quelle des Glaubens und der Liebe, die eine bleibende Wirkung hat. Wir würden heute sagen: Die beiden haben aneinander vorbei geredet.

 

Jesus wechselt abrupt das Thema der Unterhaltung. Vom irdischen Brunnenwasser haben übrigens weder die Frau noch er etwas bekommen. – Jesus fragt nach ihrem Mann. Er weiß, dass er damit dunkle Seiten im Leben seiner Gesprächspartnerin anspricht. Sie sagt ihm zwar nicht gleich alles, aber sie lügt ihn auch nicht an. Doch als er ihre Männerbeziehungen anspricht, streitet sie nichts ab und beschönigt nichts. Sie steht zu ihrer Lebenswahrheit.

 

Im Gegenzug offenbart Jesus der Frau das Geheimnis seiner Person, er öffnet sich ihr und lässt sie an seiner Lebenswahrheit teilhaben: Er ist der Gesalbte Gottes, der Messias. Die Frau aus Samárien und Jesus teilen so ein Wissen über das jeweilige Leben des anderen. Das Gespräch, das mit einer ganz alltäglichen Bitte um einen Schluck Wasser begann, hat eine sehr persönliche Tiefe der Selbstmitteilung erreicht.

Der Text richtet auch an uns die Frage: Worüber können wir miteinander reden? Sind es nur die vordergründigen Dinge des Lebens, die wir besprechen? Oder können wir miteinander die Lebenswahrheiten austauschen, können wir unter diesen auch die dunklen schuldhaften Seiten des Lebens artikulieren? Wenn uns Letzteres gelingt, dann haben wir ansatzweise erfahren, was der Satz im Johannesevangelium meint: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh 8,32).

 

Bemerkenswert ist, dass die Frau aus Samárien ähnlich wie Maria von Magdala zur Verkünderin des Glaubens an Jesus wird. Als Frau war sie nach dem Verständnis des jüdischen Gesetzes keine rechtlich anerkannte Zeugin; ihr öffentliches Gespräch mit einem Juden unter vier Augen war gegen die Konvention. Doch von ihr heißt es ganz ausdrücklich, dass „viele Samariter aus jenem Ort zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin kamen“ (V. 39).

 

Während die Jünger Jesu nur vordergründig das Mittagessen im Kopf hatten und nicht bemerkten, dass Jesus über eine ganz andere Speise mit ihnen reden wollte, ist die Frau in den Ort gerannt, um auch anderen die Begegnung mit Jesus zu ermöglichen. Jetzt war ihr das frische Wasser plötzlich nebensächlich geworden, denn sie ließ – so heißt es – den Wasserkrug stehen. Sie hatte mittlerweile begriffen, worum es Jesus wirklich geht. In der heutigen Sonntagspräfation wird dies in schönen Worten über Jesus ausgesagt: „Nach ihrem Glauben dürstete ihn mehr als nach dem Wasser, denn er wollte im gläubigen Herzen das Feuer der göttlichen Liebe entzünden.“