Erfüllte Zeit

20. 03. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Der Einzug in Jerusalem“

(Matthäus 21, 1 – 11)

von Regens Nikolaus Krasa

 

Wo sie wohl gerade sind? Die Chancen stehen hoch, dass Sie die Lieblingsbeschäftigung eines Großteils der Europäer in diesen Tagen teilen. Die Chancen stehen hoch, dass Sie unterwegs sind. Oder zumindest in den kommenden Tagen unterwegs sein werden. So wie Millionen anderer Menschen auch auf unserem Kontinent. Der österliche Massenexodus. Die kollektive Unruhe der Menschen scheint sich in diesen Tagen ja fast explosionsartig zu entladen. Endlich unterwegs, endlich weg, endlich am Ziel... Steckt in uns drin, das unruhige unterwegs Sein, das wohin Wollen, das Ziele erreichen Wollen. Das sind wir: unterwegs ein Leben lang. Von einem Wegstück zum nächsten, von einem Ziel zum Nächsten.

 

Einer beginnt das Ziel seines Weges mit dem heutigen Evangelium zu erreichen. Und er tut das in seiner ihm eigenen klaren Art, mit großer Entschiedenheit und er lässt seine Mitmenschen damit nicht kalt. Dass Jerusalem mit diesem Weg zu tun haben wird, dass Jerusalem das Ziel dieses Wegs sein wird, davon haben wir bereits am Anfang des Matthäusevangeliums erfahren, als die Weisen aus dem Osten dort das neugeborene Kind suchen. Auch dass die Beziehung zwischen den Bewohnern von Jerusalem und Jesus von Nazareth spannungsvoll sein wird, klang dort schon an: gemeinsam mit Herodes erschrickt ganz Jerusalem über die Nachricht der Weisen, ein Königskind sei geboren.

 

Danach aber hält sich Jesus in der Dramaturgie des Matthäus weit von der Hauptstadt entfernt auf, lebt und lehrt im Norden des Landes, im Umland des Sees Genezareth. Erst am Ende dieser Lehrtätigkeit macht er seine Jünger darauf aufmerksam, wohin es gehen wird, wo das eigentliche Ziel seines Weges ist, und da fällt wieder der Name Jerusalem. Und wieder klingt der Konflikt an, der für Jesus mit dieser Stadt verbunden ist: er werde in Jerusalem viel leiden, sterben und auferstehen, sagt er seinen Jüngern. Und noch zwei Mal wird Jesus seine Jünger so auf das Ziel des Weges vorbereiten. Und dann macht er sich auf den Weg. Durch das Jordantal, von Osten über Jericho steigt er steil hinauf in das Bergland, das Jerusalem umgibt, bis der Ölberg den ersten Blick auf die heilige Stadt freigibt. Und wie am Anfang des Evangeliums ganz Jerusalem erschrak, als es die Nachricht der Weisen hörte, so gerät jetzt, bei seinem Einzug, die ganze Stadt in Aufregung. Wörtlich sagt Matthäus sogar, Jerusalem wird erschüttert, wie bei einem Erdbeben.

 

Jesus geht also diesen Weg auf sein Ziel zu mit großer Entschiedenheit. Er gibt seinen Jüngern klare Anweisungen, was sie tun sollen und er setzt damit ein vermutlich unmissverständliches Zeichen. Matthäus hilft uns beim Verständnis: ein Bibelwort, sagt er, erfüllt Jesus. So wie beim Propheten Sacharia beschrieben, auf einem Esel, kommt Jesus als demütiger, einfacher Messiaskönig in seine Stadt. Und die Menschen, die das miterleben, reagieren entsprechend. Sie huldigen diesem König, indem sie Kleider auf den Weg legen und den Weg mit Zweigen bestreuen, vielleicht auch Blumen werfen. Sie huldigen diesem König, indem sie ihn jubelnd mit Hosanna akklamieren. Mehr noch: so wie ein König jederzeit Tragtiere requirieren konnte, so lässt Jesus seine Jünger für ihn den Esel organisieren. Und gibt als Begründung nur mehr hoheitsvoll an: „Der Herr will es.“ Ein Sportreporter würde vermutlich kommentieren: „jetzt will er es wissen“.

 

Ein anderer Jesus als bisher? Nein, sagt Matthäus, nur letzte Konsequenz seines Weges. Es ist derselbe Jesus, der am Beginn seines Wirkens den Menschen die Bergpredigt gehalten hat, der die Sanftmütigen selig gepriesen hat. Ja er ist selbst sanftmütig. So hat es das Bibelzitat gesagt.

Jesus entschiedener, klarer, konsequenter Weg bewegt andere. Einige gehen selbstverständlich mit, weil sie schon so lange mit ihm unterwegs sind, einige lassen sich mitreißen, huldigen diesem König, die Bewohner Jerusalems werden erschüttert. Es ist ein Weg in Auseinandersetzungen und Konflikte. Es ist ein Weg hinein in den letzten großen Konflikt, den Jesus mit dem Leben bezahlen wird.

 

Wie es weitergeht mit diesem Weg, davon will ich ihnen in einer Woche an den beiden Osterfeiertagen erzählen. Und vor allem, und das macht die Sache so spannend, wie dieser Weg andere bewegt, mitnimmt und für ein Leben lang verändert.