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Erfüllte Zeit17. 04. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Der gute Hirt als Gegenbild zu Dieben
und Räubern“ (Johannes 10, 1 – 10) von
Prof. Gerhard Bodendorfer Vor
kurzem, bei den Literaturtagen in Rauris, bekam ich Gelegenheit, den
Schriftsteller Leo Tuor kennen zu lernen, der mit einigen Tausenden
Schafen in den Graubündner Bergen lebt. Wäre mir diese Begegnung
nicht so nah, würde ich wohl noch viel weniger anfangen mit der
Rede von Schafen und Schafhirten und Türhütern, die uns hier im
Evangelium begegnet. Und geben Sie zu, die wenigsten von Ihnen, die
allerwenigsten haben einen direkten Bezug zum Leben mit Schafen. Und
dennoch, die Sache, um die es hier geht, ist moderner denn je. Wir müssen
sie nur neu übersetzen, urbanisieren, globalisieren vielleicht.
Schon die Jünger Jesu verstanden nicht mehr, aber vielleicht
weniger, weil sie den Beruf eines Schafhirten nur mehr vom Hörensagen
kannten, wohl eher, weil sie prinzipiell ein wenig schwer von
Begriff waren, wenn es um die wirklich wichtigen Belange ging, von
denen Jesus erzählte. Bleiben wir einmal am Text und identifizieren
die Akteure: da gibt es Diebe und Räuber, einen Türhüter und
einen Hirten und jede Menge Schafe. Und, vielleicht am
allerwichtigsten, die Tür. Lassen
Sie mich mit den Dieben und Räubern beginnen. Es ist wohl nahe
liegend, dass sie nicht durch die Tür kommen. Diebe und Räuber nützen
die Hintereingänge, wörtlich wie bildlich. In einen zeitgemäßen
Kontext übersetzt würde ich sie mit allen Gurus und Scharlatanen
identifizieren, die uns Tag für Tag auf mehr oder weniger subtile
Weise das Glück versprechen, Sorglosigkeit und Reichtum. Die
Palette reicht von radikalen politischen und religiösen Führern über
Esoterikgurus bis zu den simplen Verführern in Konsum- und
Medienwelt. Sie stehlen das Geld, den Verstand und die Psyche.
Anders der Hirt, der hier erwähnt ist. Er scheint sich um seine
bildlichen Schafe wirklich kümmern zu wollen. Er nennt sie beim
Namen, nimmt sie also als Personen und Individuen ernst und führt
sie hinaus auf die Weide, in ihre ureigenste Welt. Und dann die
Schafe. Sie werden naturgemäß als wenig eigenständig dargestellt
und ziemlich abhängig von ihrem Führer, dem sie bedingungslos
vertrauen. Aber dieses Vertrauen beruht auf dem Umstand, dass sie
ihn kennen. Vertrauen gründet auf Wissen um den anderen, auf
Erfahrung. Der persönliche Kontakt, die ganz individuelle Anrufung
durch den Hirten erzeugt Vertrauen, dem eine tiefere Erfahrung
folgt, nämlich durch ihn nicht zu Schaden gekommen zu sein. In
seiner Aufklärung schildert Jesus die Schafe geradezu als aufmüpfig.
Sie haben nicht auf die falschen Hirten gehört. Wie erstaunlich.
Muss man das Bild also doch sprengen und aus willenlosen Schafen
denkende Menschen machen, die ein gesundes Misstrauen gegen die
esoterischen und anderen Beglückungsgurus entwickeln. Ist man während
des Gleichnisses davon überzeugt, dass Jesus der gute Hirte ist, so
offenbart sich Jesus in der Auflösung des Bildes nicht als Hirt,
sondern als Tür, durch die die Hirten hineingehen sollen. Und wer
sind dann die Adressaten. Natürlich wir, die wir – und das
scheint mir besonders bedeutsam zu sein – sowohl Hirten als auch
Schafe sind. Jeder Mensch sollte beides in sich tragen,
Verantwortung für den Anderen ebenso wie Bescheidenheit. Den Hirten
gibt Jesus den Weg vor, die Schafe lässt er die Weide finden. Zweifellos
enthält der Text einen Ausschließlichkeitsanspruch. Nur durch
Jesus gibt es Rettung und Lebensfülle. Dies erscheint in einer
pluralistischen und offenen Welt problematisch. Gibt es nicht auch
andere Türen, die ein vor Gott gelingendes Leben eröffnen? Wo
bleibt der religiöse Dialog mit den Andersgläubigen? Das
Evangelium reflektiert darüber nicht. Doch eröffnet es auch keinen
Raum, den Weg durch Jesus als Erlösung zu missbrauchen. Und ich bin
fest davon überzeugt, dass dort, wo eine Kirche den Ausschließlichkeitsanspruch
und die Hirtenrolle autoritär auf sich bezieht, dieses Evangelium
missbraucht wird. Denn sie macht sich damit zum Türhüter, der
einzig und allein Gott sein kann.
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