Erfüllte Zeit

01. 05. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

John Shelby Spong

 

Gebet ist der gemeinsame politische Akt, der dazu dient, die Möglichkeiten so anzugleichen, dass alle Privilegierten und alle Unterprivilegierten dieselbe Chance haben, heil zu sein. Sich diese Dinge bewusst zu machen ist eine Voraussetzung des Gebets. So stürme ich mit meinen Fürbitten nicht mehr privat die Tore des Himmels ein, von wo aus Gott die vertrauten Dinge meiner Welt lenken soll.

 

Gebet kann nie eine Bitte darum sein, dass ich von meiner Verantwortung für die Welt entbunden werde, davon entbunden werde, reif oder ein Gottesträger für andere zu sein. Gebet ist die Anerkennung, dass Heiligkeit in der Mitte des Lebens gefunden wird, und geht mit der entschiedenen Absicht einher, auf diese Heiligkeit hin zu leben, indem wir sie gestalten und weitergeben.

 

Hier gibt es keine Magie! Hier ist kein Raum für religiöse Institutionen oder selbst ernannte göttliche Mittler, in dem sie Macht gewinnen können,  indem sie vorgeben, sie könnten diesen Markt mit Beschlag belegen. Hier gibt es keine Sicherheit, keine Möglichkeit, wie es im Spiritual heißt, deine Hand in die Hand dessen zu legen, der die Berge schuf. Da gibt es keine ewigen Arme unter uns, die darauf warten, uns aufzufangen, wenn wir fallen. Da gibt es nur den Ruf, offen zu sein für die Tiefe des Lebens und so zu leben, dass wir diese Tiefe offenbaren.

 

Ich lade andere dazu ein, dies zu testen, indem sie es ausprobieren, es leben, es riskieren, Beten zu lernen. Aber es ist meine Überzeugung, dass Heiligkeit dazu da ist, dass sie gefunden wird. Gott ist die Gegenwart, in der ich lebendig werde.

 

 

(Aus: „Was sich im Christentum ändern muss. Ein Bischof nimmt Stellung“, Patmos Verlag)