Erfüllte Zeit

08. 05. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Jesu Rechenschaft vor dem Vater“ (Johannes 17, 1 - 11a)

von Mag. Stefanie Jeller

 

 

 „Er hob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater!“

„Vater!“ – so beginnen die Gebete Jesu. „Abba“ im Original seiner aramäischen Muttersprache. In dem einen Wort Abba/Vater steckt viel drin, es spricht Bände:

Es ist das Einvernehmen, das Sich-verstanden-wissen, ohne viele Worte im „Vater, du weißt was wir brauchen.“ Es ist der Schrei nach Hilfe im: „Vater, alles ist dir möglich, lass diesen Kelch an mir vorübergehen!“ Es ist die vertrauensvolle Hinwendung im „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“. Und es ist die Freude im „Vater, ich preise dich, Herr des Himmels und der Erde!“

 

Im heutigen Evangelium hören wir auch ein Rufen nach dem Vater, und daran anschließend ein langes Gebet – das übrigens noch viel länger ist als diese Lesung. Der Evangelist Johannes entfaltet das Vater-Gebet Jesu als Abschiedswort: „Vater, die Stunde ist da!“. Es ist die Stunde des Abschieds, des Todes, und trotzdem die Stunde der Hoffnung. Es ist die Stunde, in der Jesus auf sein Leben in der Welt zurückblickt: deshalb redet er vom „Werk“, das er vollendet hat, von seiner „Sendung“, vom „Wort“, das er verkündet hat, und von den Menschen, die ihm anvertraut wurden.

 

Es ist gleichzeitig auch die Stunde, in der Jesus vorausblickt: „Ich gehe zu dir, Vater“, sagt er. Eigentlich ist er schon nicht mehr in der Welt, und so bittet er für die Menschen, die er in der Welt zurücklässt.  In diesem Augenblick, in der vielleicht endlosen scheinenden Gebets-Stunde Jesu erfährt der aufmerksame Hörer des Johannesevangeliums etwas, worauf er schon lange wartet, er erfährt, was mit „Ewigem Leben“ gemeint ist. Denn bisher dürften die wenigsten verstanden haben, was Jesus sagen wollten, wenn er sprach „Wer glaubt, der hat das ewige Leben“. Wer der Stunde des Abschieds in die Augen schaut, für den klärt sich manches. Er begreift, wenn er hört: „Das aber ist das ewige Leben: dich, den einzige, und wahren Gott, zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast.“

 

Viele werden auch das nicht verstehen, für sie dreht sich die Sache im Kreis. Was soll das schon heißen: Jesus ist vom Vater gesandt, er verkündet den Vater, damit die Menschen das ewige Leben haben und das ewige Leben ist dann nichts anderes, als den Vater zu erkennen und Jesus, der er gesandt hat. Ein Zirkelschluss! Von außen betrachte: ja. Doch wer einsteigt in diesen Kreis, der begegnet in Jesus dem wahren und lebendigen Gott selbst. Er betet mit Jesus „Vater“ – vertrauensvoll, schreiend, weinend und hoffend. Er sagt mit Jesus „Vater unser“. Und in dieser Stunde, mitten im Leben beginnt ewiges Leben.