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Erfüllte Zeit05. 06. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Berufung des Matthäus und das
Mahl mit den Zöllnern“ (Matthäus 9, 9 – 13) von
Pater Gustav Schörghofer SJ
Das
Reinlichkeitsbedürfnis ist eine ausgesprochen religiöse
Angelegenheit. Es wurde in der Kirche sehr gepflegt. Eine beliebte
Frömmigkeitsform war das oftmalige Beichten. Die Kommunion sollte
im Zustand einer fast klinischen Reinheit empfangen werden. Eine
scheinbare Nachlässigkeit in all diesen Dingen wird heute immer
wieder bedauert. Mit dem Reinlichkeitsbedürfnis scheint es bergab
zu gehen. Zumindest was die innere Reinlichkeit angeht. Denn auf Körperpflege
und saubere Kleidung wird heute mehr Wert gelegt als je zuvor. Während
die Beichtstühle leer bleiben steigt der Bedarf an Waschmitteln.
Die modernen Ansprüche an ein gepflegtes Äußeres haben sogar das
Bild der Gottesmutter geprägt. Früher wurde die Unbefleckte
Jungfrau Maria als eine kräftige Frau dargestellt, die der Schlange
ordentlich auf den Kopf getreten ist. Heute stellt man an einem viel
besuchten Wallfahrtsort Maria im Bild eines Mädchens dar, das der
Erscheinung von hageren Models in Modezeitschriften sehr verwandt
ist. Die Reinheit des Herzens kommt in der makellosen Reinheit der
Haut und in der absoluten Sauberkeit der Kleidung zum Ausdruck. Das
Evangelium des heutigen Sonntags erzählt eine Geschichte, die
bezeichnend ist für das Verhalten Jesu, für seinen Stil, würde
ich sagen. Während Angehörige der religiösen Elite - das waren
die Pharisäer zweifellos - mit Außenstehenden nichts zu tun haben
wollten, verhält sich Jesus ganz anders. Er hat keine Bedenken,
sich die Hände schmutzig zu machen. Er geht hinein in Bereiche, wo
das Leben andere Formen angenommen hat, als es die Gebote der
Religion vorschreiben. Er geht zu denen, die nicht zur Schar der
anerkannt Frommen gehören. Er macht sich auf die Suche nach denen,
die anders sind, draußen sind, die keinen Platz finden in der
wohlgeordneten Welt der Kirchenbänke. Jesus ist ein Entdecker. Es
treibt ihn über die abgesteckten Grenzen des guten Lebens hinaus.
Wo andere nur Schmutz sehen, entdeckt er Perlen. So begegnet er dem
Zöllner Matthäus, dem Angehörigen einer verachteten und gehassten
Gruppe beinharter Geschäftsleute und Ausbeuter. Wie
sieht es mit der Entdeckerfreude der Christen heute aus? Früher
sind Männer und Frauen aufgebrochen in ferne Länder, fremde
Kontinente. Heute ist jeder Winkel der Welt befahren, das Evangelium
auch in fernsten Gegenden verkündet worden. Zugleich aber erleben
die Christen in Europa, wie um sie herum die Schar derer, die
scheinbar draußen stehen, immer größer wird. Die Sprachinseln der
Kirchlichkeit sind umgeben von riesigen, aus kirchlicher Sicht
unbekannten Territorien. Die weiten Kontinente der Kunst, der
Wissenschaften, der Wirtschaft sind zu erkunden wie früher einmal
Asien, Amerika, Afrika. Aber wer nimmt die Mühe auf sich? Wer geht
hinaus aus den reinen Kirchenräumen? Im
Feld der Künste und der Wissenschaften das Eigene neu entdecken zu
lernen, ist für die Kirche Europas lebenswichtig. Im Schmutz einer
scheinbar glaubenslosen Welt sind Perlen verborgen. Ich darf mir
allerdings nicht zu schade sein, um mich abzumühen, um mir die Hände
schmutzig zu machen. Die Vitalität der Kirche verhält sich
verkehrt proportional zu ihrem Reinlichkeitsbedürfnis. Je größer
das Verlangen nach Reinlichkeit, desto kleiner der Glaube, desto
geringer die Vitalität. Wenn Jesus der Maßstab meines Handelns
ist, dann kann ich mich auch darauf einlassen, Fehler zu machen.
Gott steht nicht hinter mir mit dem Regelbuch in der Hand, um jede
Abweichung von einer anerkannten Norm unverzüglich zu strafen. Wir
brauchen heute Männer und Frauen, die bereit sind, sich selber aufs
Spiel zu setzen, um sich auf die Suche nach dem Fremden zu machen.
Die bereit sind, sich die Hände schmutzig zu machen, weil im
Schmutz Perlen verborgen liegen. So wird die Botschaft des
Evangeliums neu glaubwürdig. Denn da heißt es: Auch wenn wir
verloren sind, es ist Gott, der sich auf die Suche nach uns macht.
Es ist Gott, der uns findet. Immer wieder.
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