Erfüllte Zeit

05. 06. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Fazit“

 

Es steht fest: Die Kirchen müssen es wagen.

Noch einmal die Evidenz: Der Totale Markt hat alle Merkmale einer Reichsreligion. Er beansprucht absolute Loyalität, die er nach dem Zusammenbruch der feindseligen realsozialistischen Konfession für selbstverständlich hält.

 

Wie die römische Reichsreligion des Kaiserkults vor 312 ist er transzendenzarm bis transzendenzlos, ein „Kult ohne Dogma“. Deshalb kann er gegenüber trostreichen Minderheitsreligionen Indifferenz üben, die er Toleranz nennt.

 

Er ist jedoch zutiefst fundamentalistisch, da er den Planeten nach den Prinzipien des reinen Ökonomismus organisieren will – und diese Prinzipien erfolgreich in eine einheitliche Daseinsweise seiner Untertanen transformiert. Da die Ökonomie aber lediglich ein Unterfall der Ökologie ist und da sich diese Tatsache weder durch Meinungsmache noch durch Mehrheitsbeschlüsse ändern lässt, sind sowohl der Kult als auch die Perspektive des Totalen Marktes absolut selbstmörderisch und würden, wenn unbestritten, in den Untergang der uns angemessenen oder auch nur verträglichen Lebenswelt führen.

 

Worum es geht, ist die Rückführung des Geldes zum angenehmen Tauschmittel. Worum es darüber hinaus aber geht, gehen muss, ist eine Alternative zur Raserei auf der Autobahn des Totalen Marktes, die Entwicklung einer Orthopraxie, die zum Asyl für das Langsame, Behutsame, Vielfältige werden kann, welches die Evolution zum Fortgang der Schöpfung benötigt. Ein Asyl auch für alle Mitmenschen, die sich weigern, den digitalen Schweinsgalopp mitzumachen – oder die einfach nicht die Kondition dafür haben.

 

Die mögliche zivilisatorische Bedeutung eines solchen Weges der Kirchen und mit ihnen einer alternativen Zivilgesellschaft liegt hier auf der Hand. Nicht an Doktrinen und theologischen Distinktionen wird man dann die Kirchen erkennen, auch nicht an den Postern für Seelenservice, sondern an einer Praxis, einer Orthopraxie des Mutes und der Hoffnung.

 

(Aus: Carl Amery „Global Exit. Die Kirchen und der Totale Markt“, Luchterhand Verlag)