Erfüllte Zeit

26. 06. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Vom Lohn für die Aufnahme der Jünger“

(Matthäus 10,37 – 42)

von Pfr. Dr. Roland Schwarz

 

Jetzt ist die Zeit der Grillabende und der Gartenfeste. Die lauen Sommerabende ermöglichen es, im Freien zu kochen und zu essen. - Wer ist dabei nicht stolz darauf, einer Clique anzugehören, die sie oder ihn selbstverständlich dazu einlädt? Wer ist nicht froh darüber, wenn andere seine Anwesenheit schätzen, vielleicht weil er cool wirkt oder besonders witzig ist? 

Es wäre interessant, einmal darüber nachzudenken, worüber in der eigenen Clique üblicherweise gesprochen wird. Ist es der Job, die neuesten Sportevents oder das liebe Geld? Ist nicht möglicherweise auch sehr viel Selbstdarstellung und geschickt verpacktes Eigenlob dabei?

 

Vielleicht ist es die Oberflächlichkeit der Themen, warum manche darüber nachdenken mögen, die Clique seltener zu kontaktieren oder gar zu verlassen. Wenn man etwa merkt, dass soziale Fragen und soziales Engagement, Beziehungsprobleme oder gar der Umgang mit den dunklen Seiten des Lebens ausgeblendet und belächelt werden.

In einer ähnlichen Situation hat Jesus von Nazareth viele seiner Jüngerinnen und Jünger angetroffen. Sie hatten genug vom ewigen Kreisen um Essen und Trinken, um Kleidung und gefüllte Scheunen, die oft auf Kosten anderer übervoll waren. 

 

Das ist der Hintergrund, wenn Jesus sagt: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.“ Es geht um die Aufgabe von radikal allen menschlichen Bindungen, bei denen nicht die Sorgen der Armen, der Ausgebeuteten, der Schwerkranken, der Schwermütigen, der Arbeitslosen, der schuldig Gewordenen ganz wichtige Themen sind. 

 

Jesu Lebenskonzept kreiste nicht um eigene Profilierungssucht. Er hatte Freude daran, für andere – selbst bis zur Lebenshingabe – da zu sein. Wer sich dafür entschied, der nahm nicht mehr an den Festen der Snobs teil, sondern der war bei Außenseitern zu finden, die einen neuen Lebensweg gemeinsam suchten.

 

Dieser neue Lebensweg war gekennzeichnet davon, Abschied nehmen zu können von der utopischen Vorstellung, das Leben auf dieser Welt könne alles bieten. Es war die Einübung in die Überzeugung, dass dieses unser Leben nur eine vorübergehende Ouvertüre zu einer viel großartigeren Wirklichkeit ist. Darum sagt Jesus: „Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Das Loslassen von der Annahme, die weltlichen Freuden allein böten einen erfüllenden Lebenssinn führt zum Gewinn einer neuen Lebenssicht. 

 

Es führt aber auch zu einer neuen Gemeinschaft; zu einer Gemeinschaft, die spürt, was man wirklich braucht; die weiß, dass man nach langer Wanderung durch Hitze und Staub zuerst einmal einen Becher frischen Wassers benötigt; zu einer Gemeinschaft, in der man nicht immer nur gut drauf sein muss; die einen aufnimmt, weil sie spürt, dass man von jenem Geist Jesu erfüllt ist, der einem Freude an der absichtlosen Hinwendung zu anderen schenkt.

 

In unseren christlichen Gemeinden sollten alle solch eine Clique finden – ob beim Grillen oder bei einer Schriftmeditation. Ich kann es keinem versprechen, dass es gelingt, aber der Versuch lohnt sich.