Erfüllte Zeit

17. 07. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Die Gleichnisse vom Unkraut unter dem Weizen, vom Senfkorn und vom Sauerteig“ (Matthäus 13, 24 – 43)

von Veronika Prüller-Jagenteufel

 

 

Habt ihr das alles verstanden? Ein Hauptanliegen Jesu durchzieht die Evangelien: die Botschaft vom Reich Gottes. Um seine verschiedenen Aspekte deutlich zu machen, werden vor allem Gleichnisse erzählt. Sieben solcher Gleichnisse reiht das 13. Kapitel des Matthäusevangeliums aneinander und erzählt vom Sämann; vom Feld, auf dem Weizen und Unkraut gemeinsam wachsen; von dem Mann, aus dessen winzigem Senfkorn ein großer Baum wird; von der Frau, deren Sauerteig das ganze Brot durchwirkt; und in dem heute gehörten Abschnitt: von dem Schatz im Acker, um dessentwillen alles andere verkauft wird; von der Perle, die gesucht und gefunden wird und den ganzen bisherigen Besitz ersetzt; und vom Fischfang mit guten und schlechten Fischen.

 

Auf den ersten Blick ergibt sich daraus aber kein ganz eindeutiges Bild davon, was es mit dem Reich Gottes auf sich hat. Da gilt es auf der einen Seite einfach dem Wirken Gottes zu vertrauen: die Gottesherrschaft wächst wie ein kleines Senfkorn, in dem enorme Kraft steckt; das Himmelreich verbreitet sich wie der Sauerteig, der über Nacht eine riesige Menge Mehl durchwirkt. Zugleich geht es andererseits nicht ohne menschliches Zutun: das Senfkorn muss in die Erde gesät; der Sauerteig von den Händen der Bäckerin ins Mehl gemischt werden. Gottes Reich ist also nicht etwas, dass wir Menschen herstellen oder machen könnten oder müssten: Es wächst und wirkt von selbst – und doch ist unser Beitrag gefragt und nötig.

 

Ein ähnlicher Spannungsbogen findet sich in der heutigen Perikope in dem Doppelgleichnis vom Schatz und der Perle: In dem einen Fall wird erzählt, dass dieses Himmelreich wie etwas ist, worauf man mitten im Alltag plötzlich stoßen kann. Es ist auf einmal da als wertvoller Schatz in der Erde des normalen Lebens. – In dem anderen Fall wird das Himmelreich mit etwas verglichen, das aktiv gesucht wird. Die besonders schöne Perle gerät dem Suchenden nicht zufällig in die Hand, sondern steht am Ende langer Bemühungen. Gottes Reich der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und des Friedens kann sich ungeplant einstellen, mit einem Mal offenbar werden, auch wo wir es vielleicht nicht vermutet hätten. Dennoch sollen wir uns nach ihm ausstrecken, sollen wir die Sehnsucht danach zum Leitmotiv unseres Lebens machen. Das Himmelreich kommt überraschend und will doch gesucht und ersehnt werden. In beiden Fällen aber kommt es dann darauf an, wenn es sich zeigt, sich ihm ganz und gar zu widmen. Ob die Erfahrung des Reiches Gottes, die Erfahrung von gelingendem Leben unter Gottes Schutz, nun sich unerwartet einstellt oder lange gesucht wurde, entscheidend ist, sie als solche zu erkennen. Entscheidend ist es, aufmerksam zu sein für das Wirken von Gottes Herrschaft unter uns.

 

Auch die Frage der Unterscheidung der Guten und Schlechten bzw. der Bösen und der Gerechten wird uns nicht simpel gelöst, sondern ebenfalls in einen Spannungsbogen gestellt. Das Gleichnis vom Unkraut, das mit dem Weizen wächst, ebenso wie das heute gehörte Gleichnis vom Fischfang erzählen davon, dass Gute wie Böse im Herrschaftsbereich Gottes wachsen bzw. Gute wie Schlechte sich im Netz Gottes finden. Beide Gleichnisse warnen nun davor, dass wir selber beurteilen, wer zu den Guten gehört und wer zu den Schlechten: Das ist allein Sache Gottes und zwar am Ende der Welt – früher ist das womöglich auch gar nicht feststellbar! Gottes Langmut mit uns Menschen mag anstößig sein, sie ist jedenfalls eine Herausforderung, dass auch wir offenherzig, geduldig und ohne Verurteilungen miteinander umgehen. Gott schaut tiefer und hat mehr Zeit. Und doch bleibt es am Ende nicht gleichgültig, wie ein Mensch gelebt hat. Gott ist bereit, zunächst alles Leben wachsen zu lassen und nimmt doch dem Leben der Einzelnen nicht seinen Ernst.

 

Habt ihr das alles verstanden? Diese Frage am Ende der langen Gleichnisrede spiegelt einen wohl berechtigten Zweifel. Die Spannungen, dass wir Gottes Reich nicht machen können und doch zu seinem Kommen beitragen; dass die Erfahrung der Gottesherrschaft uns ganz unerwartet treffen kann und doch auch aktiv gesucht werden will; und vor allem die Spannung, dass es zwar sehr wohl auf die Lebensentscheidungen der Einzelnen ankommt, aber niemand von uns ein Recht hat, diese bei anderen zu beurteilen, bzw. dass die Gemeinschaft der Nachfolge Entschiedene braucht und doch niemand vorschnell ausschließen darf – diese Spannungen sind nicht leicht auszuhalten.

Wo das ehrlich versucht wird und wo aus dieser Perspektive die ganze Heiligen Schrift verstanden wird, erwartet uns neuerlich ein Schatz, aus dem Altes und Neues hervorzuholen ist. Entgegen seiner sonstigen Skepsis den Schriftgelehrten gegenüber, entwirft Jesus im Abschlusswort der Gleichnisrede ein positives Bild: das eines Hausherrn – es könnte wohl auch eine Hausfrau sein – der und die ihre Angehörigen gut versorgt mit den Vorräten des Hauses, eingelagerten Früchten vom Vorjahr und frischen Erträgen ihrer Arbeit und des Wirkens Gottes. Die Früchte dieses Wirkens Gottes mit unserem menschlichen Beitrag sind selbst wieder ein Gleichnis für das Gottesreich, das uns zu überraschen vermag, auch wenn wir es immer schon ersehnt haben.