Erfüllte Zeit

21. 08. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Messiasbekenntnis des Petrus und die Antwort Jesu“ (Matthäus 16, 13 – 20)

von Dr. Helga Kohler-Spiegel

 

 

Der heutige Text ist wegen des hier verwendeten Wortes „ekklesia“ in seiner Wirkungsgeschichte zentral. In den meisten romanischen Sprachen leitet sich Wort „Kirche“ von ekklesia ab, dieses Vokabel bezeichnet im profanen antiken Griechisch die Volksversammlung, die Versammlung, zu der der Herold die Bürger rief. Das Verb „ekkalein“ heißt „ausrufen, aufrufen“. Ekklesia hat ursprünglich keine religiöse Bedeutung, in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, in der Septuaginta, ist ekklesia als Übersetzung für kahal verwendet, kahal bezeichnet die Versammlung des Volkes Israel als religiöse und kultische Gemeinschaft. Das Wort ekklesia ist vor allem bei Paulus verwendet, in der Apostelgeschichte und in der Offenbarung. In den Evangelien kommt das Wort nur zweimal bei Matthäus vor.

 

Aber ich möchte Ihnen heute Morgen nicht die Auslegungsgeschichte von „Kirche“ ausfalten, sondern den ganzen Textabschnitt ins Auge fassen. Wir sind in einer kritischen Phase, Jesus fragt nach seiner Identität, er fragt nach seiner Wirkung: Wer bin ich in den Augen der Menschen, wer bin ich in Euren Augen? Das kennen wir – in Krisen steht unser Selbstbild auf dem Spiel, wir brauchen andere Menschen, vor allem Freunde, die uns helfen, wieder Klarheit darüber zu bekommen, wer wir sind. Die zu Jesus gehören, verstehen schon, wer Jesus ist – stellvertretend spricht der Freund, Simon, aus, wer er in Jesus sieht: der Gesalbte, der Erhoffte, der Erlöser.

 

Erst im Verhör Jesu vor seinem Sterben wird dieses Bekenntnis von Jesus nochmals bestätigt. Das Verhör vor dem Sanhedrin Mt 26, 61-64 gilt als Umkehrung unseres heutigen Abschnittes. Dort wird Petrus von ferne dabei sein und der Hohepriester wird das Bekenntnis als Frage aussprechen: Bist du Christus, der Sohn des lebendigen Gottes?

 

Wenn sich jemand in der Familie, im Freundeskreis verändert, hat das Konsequenzen für alle. Mit der Klärung, wer Jesus ist, verändern sich auch die Jüngerinnen und Jünger. Stellvertretend für die Gruppe steht Simon, seine Sonderstellung ist in allen Evangelien überliefert. Simon erhält einen neuen Namen – eine neue Identität. Wenn sich Kinder verändern, ist es gut, wenn Eltern auch mitwachsen, wenn sich ein Partner entwickelt, ist es meist für die Beziehung unverzichtbar, dass die andere Person sich auch verändert. In der Bibel werden solche Entwicklungen häufig mit einer Namensänderung verbunden, z.B. Abraham und Sara, auch Jakob wird zu Israel. Wir selbst wollen manchmal – nach solchen Lebensveränderungen – nicht mehr den Kosenamen der Kindheit, enge Freunde sagen vielleicht: Du hast dich verändert. Simon also erhält nach dieser „galiläischen Krise“, wie sie im Fachjargon heißt, den Beinamen Petrus. Petrus war kein Eigenname, sondern ein Wortspiel – Petra bezeichnet den Felsen, Petros (lateinisch ausgesprochen Petrus) bezeichnet den Stein. Wir könnten mit Ulrich Luz übersetzten: Du bist „Stein“, und auf diesem „Gestein“ werde ich meine Kirche bauen.

 

Viele Assoziationen tun sich auf. Fels ist in der Bibel Symbol für Festigkeit, Unerschütterlichkeit, Sicherheit, Fels steht für Abraham und häufig für Gott. JHWH ist der Fels Israels, der ewige Fels, „mein Fels und meine Zuflucht“, so wird Gott in den Psalmen angesprochen. Der Tempel in Jerusalem steht auf einem Felsen, am Ende der Bergpredigt ist bei Matthäus überliefert:  „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute.“ (Mt 7, 24; vgl. 7, 24-27)

 

Hier aber ist ein Mensch dieser Stein, dieses Gestein. Der Tempel wird nicht mehr aus Stein gebaut, sondern aus lebendigen Menschen. Die Stelle erinnert mich an Ezechiel – wenn es in der Verheißung neuen Lebens heißt: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme euch das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz aus Fleisch.“ (Ez 36, 26) Das Reich Gottes wird auf menschlichem Gestein gebaut – der Ort Gottes ist der Mensch. „Du, Simon, bist „Stein“, und auf diesem „Gestein“ werde ich meine Versammlung bauen.“ Der Boden, die Basis der Versammlung (ekklesia), die Jesus baut, ist der Mensch – zuerst Jesus selbst, und dann die Menschen in der Nachfolge Christi. Stellvertretend für die Gemeinde und in besonderer Position steht Simon, dieser Fischer, der Jesus verrät, der vieles nicht versteht… So ist bis heute Kirche eine Gemeinschaft aus Menschen, mit allem, was Menschen sind. Jesu Botschaft hieß nie, der Mensch ist nur gut. Jesus hat das jüdische Menschenbild geteilt, dass wir die Möglichkeit zum Guten wie zum Bösen haben. Aber Jesus hat den Menschen zugetraut, dass wir die Fähigkeit zum Bösen wenig – oder kaum – oder gar nicht nutzen müssen.

 

Im heutigen Text kommen weitere Aufgaben für die, die Jesus nachfolgen, hinzu: Es geht um Vollmacht, aber es ist zugleich klar: Kirche und Himmelreich sind klar unterschieden. Die Schlüsselgewalt ist mit „binden und lösen“ verbunden. Dieser Auftrag zum Binden und Lösen findet sich in allen Evangelien, in den Parallelstellen ist dieser Auftrag auf alle Jünger hin formuliert. Die Zentrierung auf Simon, wie sie hier bei Matthäus vorliegt, ist nachträglich so formuliert. Das Begriffspaar „binden und lösen“ ist im Rabbinischen üblich und meint „verbieten und erlauben“, es beschreibt die Tätigkeit der Rabbiner, die Tora auszulegen und Entscheidungen für die Glaubens- und Lebenspraxis zu fällen, die Tora zu deuten und aus ihr Hilfen für die jeweilige Gegenwart zu nehmen. Im Duktus des Matthäus: Jesus, der in der Bergpredigt selbst die Tora gedeutet hat, gibt auch diese Aufgabe an die Jüngerinnen und Jünger weiter.

 

Ich habe schon gesagt, dieser Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium hat eine lange Wirkungsgeschichte nach sich gezogen. In der Fachliteratur wird zentral unterschieden zwischen Petrusamt und Petrusdienst. Der Textabschnitt, denke ich, macht uns deutlich, dass das Gestein, auf dem die Versammlung steht, der Mensch ist, der das Bekenntnis zu Christus Jesus ausspricht. Und das verbindet sich mit Paulus, wenn er sagt: „Wer mit dem Mund bekennt und mit dem Herzen glaubt: Jesus ist der Christus…“ Mir wird an diesem Text so deutlich: Der Mensch, der sich in Wort und Tat zu Christus Jesus bekennt, ist das Gestein, auf dem die Gemeinschaft der Christinnen und Christinnen steht. Sich zu Jesus Christus bekennen, heißt in den Evangelien, Jesus nachzufolgen, seinen Weg zu gehen, zu leben wie er. Und dann können wir uns all die Überlieferungen erzählen, die wir aus den Evangelien kennen: Da hockt einer auf einem Baum und versteckt sich, weil er in der Gemeinschaft keinen Platz mehr hat und Jesus ruft ihn – Zachäus. Da ist eine Frau so gekrümmt, dass sie niemanden und nichts mehr sehen kann – und Jesus richtet sie auf. Einer anderen zerrinnt die Kraft zum Leben, das Leben selbst – und Jesus macht sie gesund. Da verrät einer den anderen im entscheidenden Moment – und Jesus verzeiht… Auf ein solches Gestein sehe ich die Kirche gerne gebaut. An einer solchen Kirche baue ich gerne mit.