Erfüllte Zeit

04. 09. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Von der Verantwortung für den Bruder“ (Matthäus 18,15 – 20)

von Gernot Grammer

 

Mein verstorbener Großvater hat mir immer gerne aus seinem Leben erzählt. Es war ihm wichtig, mir zu sagen, was ihm in seinem Leben geholfen hat, was ihn menschlich weiter gebracht hat.

 

Ich erinnere mich, dass er mir einmal aus seinem Leben mit meiner Großmutter erzählt hat. Und da hat er gesagt, dass er bei gröberen Meinungsverschiedenheiten mit ihr jeweils versucht hat, diese häuslichen oder ehelichen Irritationen nicht mit in den Schlaf zu nehmen.

Er wollte sie vorher lösen und nicht mit hinein in die Nacht und in den nächsten Tag tragen.

 

Ich frage mich jetzt: beginnt das nicht im Kleinsten: was ihr da löst – das ist auch dort gelöst?

 

Überall wo Menschen miteinander wohnen oder arbeiten wird gemeinsam viel erreicht.

Es kommt aber auch vor, dass unterschiedliche Auffassungen und Meinungen sich verhärten und aufeinander prallen.

 

Und wenn ich selbst noch so sehr im Recht bin - es ist manchmal schon sehr schwierig mein Gegenüber vom Besseren, vom Verbindenden zum Gemeinsamen hin zu bewegen.

 

Genauso gut wie ja auch ich nicht immer von meinen Standpunkten abrücke – selbst wenn ich schon erkannt habe, dass es notwendig wäre sie zu überdenken.

 

Unser Regelvater, der heilige Augustinus, den wir Augustiner-Chorherren letzten Sonntag gefeiert haben, weiß um diese menschlichen Schwächen.

In seiner Regel widmet er das siebente Kapitel dem Thema der brüderlichen Zurechtweisung.

 

Dabei bedient er sich der Verse von Matthäus, die wir heute als Evangelium gehört haben.

 

Augustinus tritt dafür ein, dass Verfehlungen angesprochen werden.

 

Zuerst zwar in aller Diskretion, aber sofort, damit das Schlechte sich nicht einnisten kann.

Wenn keine Besserung eintritt sollen zwei oder drei Weitere eingeweiht werden.

Wenn auch das nicht fruchtet, ist die Autorität der Oberen gefragt.

 

Augustinus vergleicht das Aufdecken, das Ansprechen einer Verfehlung mit der Hilfe eines Arztes. Er sagt: „Glaubt nicht, lieblos zu sein, wenn ihr eure Mitbrüder, die ihr durch Anzeige bessern könntet, durch Stillschweigen ins Verderben stürzen lasst.

Hätte Dein Mitbruder am Körper eine Wunde und wollte sie geheim halten, weil er sich fürchtet, sie schneiden zu lassen, wäre es da nicht grausam von dir, darüber zu schweigen, dagegen barmherzig, es zu offenbaren?“

 

Unserem Regelvater geht es um das Ansprechen und das Wenden des Unguten zum Guten, auch mit etwaiger Bestrafung.

 

Dabei unterscheidet er aber deutlich: die Liebe zu den Menschen und den Hass gegen das Böse.

 

Gesteht einer seine Verfehlung ein, entschuldigt sich einer, dann ist er schonend zu behandeln und es soll für ihn gebetet werden.

 

Das ist wie mit jemandem der krank war und den man in der Zeit seiner Genesung umso herzlicher und aufmerksamer umsorgt, damit er bald ganz gesund wird.

 

Am Ende des heutigen Evangeliums heißt es, dass, was zwei von uns auf Erden gemeinsam erbitten, das werden sie vom himmlischen Vater erhalten.

 

Ich fühle mich durch diese frohe Botschaft ermuntert, das zu überwinden was mich von anderen trennt. An mir zu arbeiten.

 

Wenn andere das auch machen – dann kommen wir dahin, dass wir den Vater im Himmel gemeinsam um etwas bitten können und wir werden es erleben, dass er mitten unter uns ist.