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Erfüllte Zeit23. 10. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die
Frage nach dem wichtigsten Gebot“ (Matthäus 22, 34 – 40) von
Univ. Prof. Wolfgang Langer
Das
fromme Gerede von der Liebe nervt. Es ist irgendwann nicht mehr
anzuhören. Aber vielleicht lohnt es sich doch, das heutige kurze
Evangelium genauer anzuschauen. Gott zu lieben, sei das wichtigste
(im griech. Urtext: das „große“) und erste Gebot. Und da
stutzen wir schon. Kann man Liebe gebieten, befehlen, vorschreiben?
Gar die Liebe zu Gott? Und wieder die Frage: Wie ist Gott zu lieben? Von
Jesus bekommen wir die vielleicht unerwartete, aber klare Antwort:
Das zweite Gebot ist dem ersten gleich, zugespitzt: Es ist dasselbe!
Gott lieben heißt nicht, ihn über den Wolken zu umarmen suchen. Es
ist vielmehr eine ganz nüchterne, handfeste und alltägliche Sache.
Die erste Lesung aus dem Bundesbuch Israels zeigt uns, was gemeint
ist: Fremde (Migranten) nicht ausbeuten, Witwen und Waisen (Arme und
Schwache in der Gesellschaft) nicht ausnützen, von Schuldnern keine
Wucherzinsen nehmen, ihnen nicht das zum Leben Notwendige
(Unterhalt, Wohnung) vorenthalten. Gottesliebe
ist tätige Mitmenschlichkeit. Anders gesagt: Nach der Überzeugung
Jesu will Gott von uns nicht anders geliebt werden als am Menschen.
Das gilt auch im umgekehrten Sinn: Wer Menschen in Not tatkräftig
beisteht, ihre gefährdeten Lebenschancen schützt, der oder die ist
Gott verbunden, ob gewollt oder unbewusst. Das hat Matthäus drei
Kapitel weiter in der bildhaften Erzählung vom Weltgericht (Mt 25,
31-46) ausgeführt: „Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen
gegeben ... Wann habe wir dich hungrig gesehen? Was ihr dem
geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Dabei
geht es um weit mehr als Gebot und Gehorsam. Gottes- und Nächstenliebe
in eins gefasst kann eher als Auftrag oder sogar als Bestimmung des
Menschen verstanden werden. Je mehr ich mit den anderen und für sie
zu leben versuche, desto mehr werde ich Mensch. Und im Gegensatz
dazu: Wenn ich vorwiegend um mich selbst kreise, hauptsächlich auf
das Meine bedacht bin, verliere ich mehr und mehr von meiner
Menschenwürde, verfehle ich mein eigentliches Menschsein! Wer
daran glaubt, dass der letzte Grund seines/ihres Daseins die schöpferische
Liebe Gottes ist, wird auch die anderen als von Gott gewollt und
geliebt ansehen. Den Nächsten lieben ist dankbare Antwort auf das
Geschenk des Lebens. Das ist keine Sache des Gefühls, der
Sympathie, sondern eben Verantwortung für ein entsprechendes Tun. Was so Gott und Mensch
miteinander und die Menschen untereinander verbindet, ist das
heimliche Grundgesetz der Schöpfung. Es wird sich – so die
Hoffnung des Glaubens – am Ende der Zeiten als Sinn der heute noch
verworrenen Geschichte der Welt offenbaren. Unser
ganzes Tun ausschließlich von der Liebe zu den Menschen bestimmen
zu lassen, überfordert uns. Es ist schon viel gewonnen, wenn wir
einsehen, dass darin das erstrebenswerte, das wahre Ziel
menschlichen Lebens aufleuchtet. Und wenn wir uns davon die Richtung
unseres immerwährenden Bemühens vorgeben lassen – allem Versagen
zum Trotz.
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