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Erfüllte Zeit30. 10. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Worte
gegen die Schriftgelehrten“ (Matthäus 23, 1 – 12) von
Univ. Prof. Wolfgang Langer
Ich
will ihnen nicht unterstellen, dass sie im Grunde sich selbst
feiern. Ich bin sogar bereit, anzunehmen, dass sie es eher ertragen
als genießen, mit Hochwürdigster Herr, Herr Prälat, Exzellenz
oder Eminenz angeredet zu werden. Dass es ihnen unangenehm ist, von
den Leuten hofiert und aufs Podest gestellt zu werden, immer und überall
die Ehrenplätze einzunehmen. Aber
es ist schon bemerkenswert, mit welcher Selbstverständlichkeit sie
den Widerspruch zwischen dem, wie sie sich gerieren, und dem
Evangelium aushalten. Was Matthäus Jesus sagen lässt, ist
eindeutig. Von einer hierarchisch aufgebauten Gemeinschaft, von Über-
und Unterordnung ist keine Rede. Insignien der Rangordnung, Titel, Würden
und Privilegien werden ausdrücklich abgelehnt. „Ihr
alle seid Brüder“: Das Evangelium kennt nur eine geschwisterliche
Gemeinde der Jünger Jesu, eine Gemeinschaft von Gleichen. Aber in
ihrer äußeren, irdischen Gestalt ist die Kirche doch eine soziale
Institution. Und als solche braucht sie eine Ordnung, Zuständigkeiten,
Ämter. Zumindest Bischöfe (wörtl.: Aufseher) und Diakone kennen
schon die späten Schriften des Neuen Testaments. Ja, nur die Art
der Amtsausübung ist wiederum eindeutig bestimmt – mit einem
einzigen Wort: dienen. Und ein Diener sieht doch wohl anders aus als
ein Bischof oder Kardinal in vollem Ornat! „Der Größte unter euch soll euer Diener sein.“ Das Evangelium kehrt die in der Gesellschaft übliche Rangordnung um, verkehrt sie geradezu in ihr Gegenteil. In dem von Jesus verkündeten und in seiner Person begonnenen Reich Gottes ist der erste Rang der „letzte Platz“ (Charles de Foucauld). Den hat Jesus selbst unzweifelhaft eingenommen, indem er sich für die Seinen hingab. Nicht erst in seinem Tod, sondern schon zu Lebzeiten – in der Art, wie er den Menschen begegnete: nicht „von oben herab“, sondern ganz und gar dienend. Das Johannesevangelium hat das in einem sprechenden Bild zusammengefasst. Es erzählt, wie Jesus beim Abschiedsmahl seinen Jüngern die Füße wusch, also ihnen den untersten Sklavendienst erwies. Nun
reden die Amtsträger schon seit einiger Zeit gern davon, dass sie
ihr Amt ja nicht anders denn als Dienst am Volk Gottes auffassen.
Das mag ehrlich gemeint sein. In der Realität sieht es freilich oft
genug anders aus. Da werden Amtsinhabern und römischen Stellen
Machtbefugnisse zugeteilt, die sie ganz legal völlig autoritär ausüben.
Da werden von Einzelnen Entscheidungen gefällt, die die Betroffenen
widerspruchslos hinnehmen müssen. Man könnte fortfahren... Eine
geschwisterliche Kirche gegenseitigen Dienens sähe anders aus. Da gäbe
es mehr Dialog, Beratung, Mitentscheidung der Gläubigen in
wichtigen Dingen, Gewaltenteilung, Berufungsinstanzen und vieles
mehr. Die Ordnung des kirchlichen Lebens wandelt sich im Laufe der
Geschichte. Das Evangelium und das Beispiel Jesu bleiben die unverrückbaren
Richtpunkte für alle Reformen!
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