Erfüllte Zeit

13. 11. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

 

„Das Gleichnis vom anvertrauten Geld“ (Matthäus 25, 14 – 30)

von Pfarrer Christian Öhler

 

Ein Mann geht auf Reisen. Vorher regelt er seine Geschäfte. Die Geschäfte haben mit Geld zu tun. Viel Geld, wenn man bedenkt, dass einem Talent ungefähr eine halbe Million Euro entspricht. Der Großkaufmann vertraut seinen Dienern insgesamt etwa 4 Millionen Euro an.

Zwei Diener wirtschaften mit dem Geld und gewinnen entsprechend dazu. Aus fünf mach zehn, aus zwei vier. So einfach steht es da.

Was aber steht dahinter? Wie vermehrt sich Geld?

Ich erinnere mich an den Slogan einer Bank: "Lassen sie ihr Geld für sich arbeiten".

Das hört sich nach wunderbarer Geldvermehrung an. Allerdings Heinzelmännchen gibt es nur im Märchen. Es sind reale Menschen, die für andere Gewinne, sprich Geld produzieren.

Es sind ebenso reale Menschen, die wegrationalisiert werden, um Firmen am Finanzmarkt besser zu positionieren. Der Wert der Aktie steigt.

 

Szenenwechsel.

Da ist noch einer. Er vergräbt seine halbe Million. Er stellt sich gegen den unausgesprochenen Auftrag seines Herrn, „aus eins mach zwei“. Dieser Diener vergräbt das Geld und untergräbt damit das System, wo aus Geld mehr Geld wird.

 

Wem gehört unsere Sympathie?

Es fällt leichter, uns auf die Seite der Erfolgsverwöhnten zu schlagen. Wer möchte schon dem Herrn Aug´ in Aug´ gegenübertreten und sagen, dass er nicht mehr retour gibt, als ihm gegeben wurde. Also eins zu eins und damit basta.

Wo gehen unsere Träume hin, woran hängt unser Herz? Geht´s nicht auch sehr oft um´s Geld und mehr Geld. Träumen wir nicht selbst von höheren Renditen, die uns Banken, Versicherungen, Pensionskassen versprechen? Natürlich ohne dazu zu sagen, auf wessen Kosten das Geld wächst, wer letztendlich draufzahlt.

 

Zurück zum Gleichnis des Evangelisten Matthäus: Mit 5 Talenten zehn zu erwirtschaften geht nur mit Wucherzins und Ausbeutung. Der erste und der zweite Diener haben dieses System gut gelernt. Es läuft wie am Schnürchen und sie werden vom Chef gelobt.

Der dritte Diener hat das Geld des Kaufmannes nicht vermehrt, weder durch aktive Leistung noch durch Deponieren bei der Bank. Er wagt es sogar, dem Mann den Spiegel seines Verhaltens vorzuhalten.

"Du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast."

Dieser Diener hat einerseits Angst vor seinem strengen Herrn, andererseits bringt er den Mut auf, dem System der Geldvermehrung - auf Kosten anderer - zu widerstehen.

Die Konsequenzen sind hart, damals wie heute. "Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat!". Die Moral der kapitalistischen Finanzwelt wird kurz zusammengefasst: "Wer hat, dem wird gegeben und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat.“

 

Der Evangelist Matthäus zeigt an der Person des dritten Dieners, was mit Menschen passiert, die in diesem System nicht mitspielen wollen oder können. Sie werden ausgeschlossen. In unserer Welt gibt es viele Menschen, die hinausgeworfen worden sind oder die erst gar keinen Platz finden. „Werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis“... Der Arme/die Arme, Armut wird unsichtbar gemacht. Wie es Bert Brecht in der Moritat aus der Dreigroschenoper so treffend ausdrückt: „Und die einen, die sind im Dunkeln, und die anderen, die sind im Licht. Doch man sieht nur die, die im Licht stehen, die im Dunkeln sieht man nicht.“

 

Am Umgang mit Geld entscheidet sich unser Christsein. Wie wir damit umgehen, kann Leben fördern oder zugrunde richten. Das Himmelreich beginnt dort, wo die Geldmacht entlarvt wird, wo das Geld nicht mehr die alles bestimmende Wirklichkeit ist, wo Menschen aufeinander schauen, gemeinsam statt gegeneinander wirtschaften.

 

"Brot wird erst zum Leben, wenn es geteilt wird". Das ist auch eine Aussage von Bert Brecht. Leicht abgewandelt könnte man sagen: "Geld wird erst zum Leben, wenn es geteilt wird."

 

Beim Teilen aber sollten sich Christinnen und Christen nicht ängstlich zurückhalten, da sind uns die beiden ersten Diener Vorbild, nicht der Dritte, der das ihm Anvertraute versteckt. Das Reich Gottes ist da, wo ein Mensch das ihm Anvertraute, seien es nun materielle Werte wie Geld, seien es persönliche Fähigkeiten und Begabungen einsetzt, wo ein Mensch das ihm geschenkte Leben investiert, riskiert für eine verwandelte Welt, wo alle gesättigt aufrecht gehen können. Wer sein Leben in diesem Sinn investiert, wird „teilnehmen an der Freude des Herrn“.