Erfüllte Zeit

04. 01. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

"Der Prolog des Johannes-Evangeliums"
(Johannes 1, 1 - 18)

von Regina Polak

 

Wenn sich ein Mann und eine Frau ein Kind wünschen, wird viel darüber gesprochen: Wie soll es heißen? Wie wollen wir es erziehen? Wird’s ein Bub oder ein Mädchen?

 

Wenn es dann gezeugt ist und im Mutterleib heranwächst, ist das eine geheimnisvolle, aufregende Zeit: Wie es wohl aussehen wird? Wem wird es ähnlich sehen? Hoffentlich ist es gesund! Also, das kleine Es ist ganz schön aktiv, wenn es da so im Bauch herumstrampelt! Ob wir das auch schaffen werden, ein Kind großziehen? Werden wir genug Zeit für unser Kind haben? Genug Liebe? Hoffentlich machen wir nicht allzu viel falsch. Ich hätte gern, dass es glücklich wird.

 

Die vielen Worte, die da vorher gesprochen werden – ob miteinander oder im Stillen – diese Worte spannen schon einen Raum für das zukünftige Menschenwesen auf. Es ist, als ob das Kind schon da wäre, obwohl es noch gar nicht wirklich da ist. Aber selbst, wenn es noch nicht gezeugt ist und man sich sehnsüchtig auf es freut: Es ist schon da. Man kann es sehen, mit dem inneren Auge; man kann es spüren mit dem Herzen. Worte eröffnen Möglichkeiten und sind Tore zum Leben.

 

Und dann kommt ein neuer Mensch auf die Welt: Das Wort ist Fleisch geworden. Was man gedacht, gefühlt, gesprochen, geahnt, sich vorgestellt hat – Jetzt ist er da. Jetzt ist sie da. Sichtbar, spürbar, und ziemlich lebendig. Die Worte werden konkret. Der Raum, den Vater und Mutter aufgespannt haben, füllt sich nun mit leibhaftigem Leben.

 

Und doch ist vieles ganz anders, als man sich das gedacht und diskutiert, besprochen und ausgemacht hat. Je größer es wird, umso sichtbarer wird das. Mein Kind hat meine Augen und meine Art, zu reden. Es hat viele Talente seines Vaters und wenn es lacht, lacht mich mein Mann an. Aber von Beginn an merke ich auch: Viele meiner Pläne durchkreuzt es einfach – weil es frei ist. Mein Kind ist jetzt schon ganz ein eigenes Geschöpf. Wir sind verschieden – und doch nicht getrennt. Was uns zusammenhält und aneinander bindet, ist die Liebe.

 

Gott wird Mensch. Das Wort wird Fleisch. Der innere Sinn, der Welt – er kommt uns so nahe, dass wir ihn wahrnehmen und begreifen können. Als Christus geboren wurde, wurde das Wort Gottes geboren. Jahrhunderte lang gesagt, weitererzählt, bekämpft, durchdacht, erbetet, bewährt, geheiligt. Was dem Volk Israel offenbart wurde, das Wort Gottes, was es tradiert hatte von Generation zu Generation: nun wird Gott in diesem Raum voller Worte konkret ansichtig. Nimmt eine historische, leibhaftige Gestalt an. In Christus können wir Gott sehen, wird Gottes Wort konkret. Sein Antlitz enthüllt sich, sein Wesen schenkt sich uns in einem Menschen. Jetzt wissen wir nicht mehr nichts von Gott, jetzt sehen wir und hören wir, wie der unendliche Abstand zu Gott hin überbrückt werden kann: Durch die Liebe, die in Christus sichtbar wird. Sie überwindet den Graben zwischen Mensch und Gott. Wir müssen uns nicht mehr fürchten.

 

Wer ein Kind mit Worten der Liebe erwartet, kann erahnen, was es bedeutet, dass Gottes Wort Fleisch geworden ist. Wenn schon die Macht von Eltern so groß ist, dass sie mit ihren Worten ihrem Kind Leben und Liebe schenken (oder verweigern) können, wie groß muss dann die Liebe eines Gottes sein, der sich uns da in Christus schenken will? Im Unterschied zu uns Menschen ist Gottes Liebe nämlich nicht endlich und zerbrechlich, sondern beständig und treu. Sein Wort hört niemals auf. Er verweigert sich nie. Und seit Christus geboren wurde, gelebt hat, gestorben und wieder auferstanden ist, wissen wir, dass wir Menschen zwar oft sehr weit entfernt von Gott sind, dass wir aber niemals von ihm getrennt sind: Wenn wir seinem Wort in Christus glauben, können wir jeden Tag aufs neue zu ihm kommen. So wie ein Kind seinen Eltern vertrauen lernt, wenn ihm diese Leben schenken in Worten der Liebe. Und Gott wird da sein für uns, wie Eltern, die für ihre Kinder da sind, egal, was passiert.