Erfüllte Zeit

08. 02. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

Lukas  5, 1 – 11

 

von Veronika Schwed (Theologin, Pastoral- assistentin in Herzogenburg und Religions- lehrerin in Krems)

 

Die Berufung der ersten Jünger

 

 

Und sie zogen die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm nach.

 

Gerade jetzt, nach diesem Super-Fang hängen Petrus, Jakobus und Johannes ihren Beruf an den Nagel und folgen Jesus.

Nichts ist mehr wichtig.

 

Der Ruf Jesu relativiert alles Bisherige.

 

Petrus, Jakobus und Johannes lassen alles zurück.

 

Drei lassen ihre Netze zurück.

 

Die Netze, die bisher die Grundlage ihrer Existenz waren und die jetzt endlich prall gefüllt sind.

 

Fischer zur Zeit Jesu haben gut auf ihre Netze achtgegeben: Täglich haben sie sie ausgeworfen, eingeholt, ausgeklaubt, entwirrt, geflickt und wieder ausgeworfen.

 

Dieses „Grundwerkzeug“ ist ihnen jetzt nicht mehr wichtig.

 

Völlig unvernünftig folgen sie ihrem Herzen, fasziniert von dem Mann, der sie zu „Menschenfischern“ machen möchte.

 

Drei lassen ihre Boote zurück.

 

Sie bringen sie noch an Land, versorgen sie, doch dann lassen sie sie zurück.

 

Mit diesen Booten sind sie täglich über den See Genezareth gefahren. Hier waren sie ihre eigenen Herren. Diese Boote haben sie flexibel gemacht, sie sind ein Stück Freiheit. Das geben die drei Fischer jetzt auf, um diesem Rabbi zu folgen, der sie aus ihrem Alltag holt.

 

Drei lassen ihre Vorräte zurück.

 

Sie gehen nicht mehr heim, um etwas aus den Kellern oder Häusern zu holen und mitzunehmen. Kein Brot, keinen Laib Käse, kein zweites Gewand. Ohne Absicherung gehen sie, lassen sich ohne Sicherheit auf dieses Abenteuer ein.

 

Drei lassen auch die Schläuche mit Wein zurück.

 

Bei jedem Fest ist Wein getrunken worden, immer, wenn Freunde zusammengekommen sind, wenn die Dorfgemeinschaft etwas zum Feiern gehabt hat.

 

Petrus, Jakobus und Johannes geben ihren bisherigen Lebensraum, ihren Freundeskreis, ihren einfachen, überschaubaren Alltag auf.

 

Drei lassen sogar ihre Familien zurück.

 

Das ist eine Tatsache, gegen die ich mich innerlich wehre.

 

Von Petrus ist bekannt, dass er verheiratet war, denn Jesus hat seine Schwiegermutter geheilt. Bei den anderen beiden ist es zumindest wahrscheinlich.

 

Die Vorstellung, dass den Jüngern Jesus wichtiger war als ihre Frauen und Kinder, widerstrebt mir. Ich bin wohl zu sehr von der heutigen Idealisierung der Familien, der Bedeutung einer guten Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern geprägt.

 

Diese Fischer begreifen jedenfalls: Nichts ist wichtiger als Jesus zu folgen.

 

In die heutige Zeit übertragen lässt sich das in drei Punkten zusammenfassen:

 

Jesus fordert uns Christen und Christinnen auf,

- ihm zu vertrauen,

- uns führen zu lassen

- und nichts über ihn zu stellen.

 

Die Fischer lassen ihre Netze zurück. Für mich bedeutet das, nicht krampfhaft an einer Kariere festzuhalten. Jesus hat die Jünger nicht aus der Erfolglosigkeit heraus berufen, sondern nach einem reichen Fang.

 

Auch dieses Boot der Freiheit, des Individualismus kenne ich aus meinem Leben. Die Jünger sind keine fremdbestimmten Handlanger Jesu geworden, obwohl sie nicht auf ihre Selbstbestimmung bestanden haben.

Keine Vorräte mitzunehmen gilt heute als unvernünftig. Was ist mit Pensionsvorsorge, mit Bausparverträgen und Versicherungen? Ich denke, es geht nicht darum, leichtsinnig in den Tag hineinzuleben. Das ist unverantwortlich. Es geht vielmehr darum, mich nicht ängstlich zu verkrampfen, sondern Dinge zuzulassen und zu vertrauen.

 

Die Weinschläuche möchte ich für all das stehen lassen, was die sogenannte „Spaßgesellschaft“ ausmacht: Jedes Suchtverhalten, gierige Verschwendung, ultimative Dummheit in Pseudounterhaltung. Jesus hat nichts gegen Feste und Freude, das hat er oft bewiesen. Zurücklassen soll ich aber alles Oberflächliche, Seichte und Schädliche.

Und die Familie? Jesus will sicher  nicht, dass Ehepartner, Ehepartnerinnen oder Kinder verlassen werden. Auch hier geht es um eine innere Haltung: Ob ich meine Kinder vergöttere, sie über alles stelle, idealisiere und verwöhne oder ob bei aller Liebe zu meinen Kindern Jesus Christus Mitte meines Lebens bleibt.

 

Jesus steht auch am Ufer meines Lebens.

 

Sein Ruf gilt auch mir.

 

Jeder Mensch hat seinen Ruf, seine Berufung.

Jesus vertrauen, mich führen lassen und nichts über Jesus stellen.

 

Das ist es, wozu das heutige Evangelium aufruft. Das ist die Mitte der Berufung.