Erfüllte Zeit

18. 04. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

"Jesus und Thomas"
(Johannes 20, 19 - 31)

Kommentar: Pater Leo Wallner

 

Die Jünger und Jüngerinnen Jesu haben seine Auferstehung nicht leichtgläubig angenommen. Durch die schreckliche Realität seines Todes waren sie in ihrem Glauben an ihn zutiefst erschüttert und enttäuscht. Und wenn sie sich auch im ersten Augenblick „freuten, als sie den Herrn sahen", wie es im heutigen Evangelium heißt, haben sie je länger je mehr "Beweise" gebraucht. Sie wollten keinem „Gespenst“ aufsitzen (vgl. Mt 14,26||Mk), keinem dämonischen Trugbild, keiner Sinnestäuschung erliegen – wie wir heute sagen würden; und darum musste diese Auferstehung des Gekreuzigten Platz haben in ihren bisherigen Glaubensvorstellungen, musste sie irgendwie in ihren Heiligen Schriften angekündigt, wenigstens angedeutet sein.

 

Und sie sind fündig geworden, wie ja die ersten Predigten in der Apostelgeschichte zeigen. Etwa, wenn da Petrus aus dem Psalm 16 zitiert: "... du gibst mich nicht der Unterwelt preis, noch lässt du deinen Frommen die Grube bzw. die Verwesung schauen..." (vgl. Apg 2,25-31) Nun aber, so argumentiert Petrus, ist König David, der Verfasser dieses Psalms, selber gestorben und endgültig begraben worden. Daher habe er hier „voraussehend von der Auferstehung des Christus geredet, dass er weder im Hades zurückgelassen worden ist noch sein Fleisch die Verwesung gesehen hat.“

 

Diese Argumentation mag heutigen Bibellesern nicht überzeugend klingen, für die jüdischen Jesusjünger und -Jüngerinnen war das ein Schriftbeweis, wie sie ihn kannten. Nun, im heutigen Evangelium ist es der sprichwörtlich "ungläubige Thomas", der seinen Beweis braucht und fordert – und ihn auch bekommt! Ohne Vorwürfe: "Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt? Selig, glücklich die, die nicht sehen und glauben" – wörtlich: "zu glauben beginnen". Menschen, heißt das, die sich auf-machen – im doppelten Sinn des Wortes: die „sich öffnen“ für das Neue, und die "aufbrechen", d.h. sich auf einen Weg machen. Und wenn sie das dann tatsächlich tun, mag ihnen durchaus unser Freund Thomas auf ihrem Weg geholfen haben mit seinem kategorischen "Wenn ich nicht..."!

 

Was wollte er denn sehen und "greifen" – "be-greifen"? Die Wunden Jesu, seine tödlichen Verletzungen, und damit die wirkliche Identität seines Herrn! Gerade Thomas ist es ja, der früher einmal – im 11. Kapitel des Johannesevangeliums (v. 16) – seine eigene Todesbereitschaft ausgedrückt hat: "Gehen auch wir, um mit ihm zu sterben!" Jetzt will er sehen, dass Leiden und Tod nicht einfach weggewischt, ausgelöscht, sondern in ihrer grausamen Realität wahr- und ernstgenommen werden.

 

Der Auferstandene ist der, der gekreuzigt worden ist, und der alle Gekreuzigten dieser Welt in sich versammelt bis zum Ende der Welt. Das ist natürlich auch heute für manche Leute äußerst anstößig, die mit der ganzen Jesusgeschichte nichts mehr zu tun haben. Nicht nur Kinder etwa aus der ehemaligen DDR fragen dann: "Warum hängt da dieser nackte Mann?" Ja eben, genau diese Frage soll gestellt werden, und auf sie soll es auch eine Antwort geben, sollen Christinnen und Christen eine verständliche Antwort geben können!

 

Angesichts dieser Identität von Leidendem und Auferstandenem findet dann dieser selbe scheinbar "ungläubige" Thomas zu einem Bekenntnis, das den anderen so nicht geschenkt war: Sie haben sich nur gefreut, dass sie den Herrn gesehen haben, er erkennt mit einem Mal in diesem Jesus seine eigene ganz persönliche Beziehung zu Gott selbst auf-gehoben: "Mein Herr und mein Gott!"

 

"Noch viele andere Zeichen," so heißt es zum Abschluss der heutigen Evangelienlesung, "die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen!"

 

In der Lesung des heutigen Sonntags aus der Apostelgeschichte (5,12-16) wird geschildert, wie „immer mehr Menschen im Glauben zum Herrn geführt wurden, Scharen von Männern und Frauen“ (– ja, ganz ausdrücklich und nachdrücklich werden auch die Frauen genannt!). Menschen also, die nicht wie die Apostel und wie Thomas "den Herrn gesehen haben", und die dennoch glauben.

 

Trotzdem, da sind auch noch andere, und auf sie möchte ich am Schluss besonders hinweisen, weil wir in ihnen wohl nicht wenigen Zeitgenossen begegnen: "Von den übrigen wagte niemand, sich ihnen anzuschließen." Es hat sie also auch damals gegeben, die ganz verborgen in ihrem Herzen geglaubt haben oder gern geglaubt hätten, und die nur keinen Ansatz gefunden haben, keine Hilfe und Ermutigung gegenüber einer allgemeinen Meinung...

 

Religion – und erst recht in der Form des Glaubens an Christus – ist heute ein Tabu-Thema, oft bis in die intimste Gemeinschaft der Familie hinein, fast noch stärker als die Sexualität. Das sollte doch alle, die ihren Glauben bekennen – z.B. durch den Besuch des Sonntagsgottesdienstes! – nach Wegen suchen lassen, wie sie ihren Mitmenschen zum Glauben helfen können, zu einem Glauben, der sie dann selber ganz persönlich mit dem "ungläubigen Thomas" bekennen lässt: "Mein Herr und mein Gott!" Amen.