Erfüllte Zeit

16. 05. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

"Trostworte an die Jünger"
(Johannes 14, 23-29)

Kommentar: Regens Nikolaus Krasa

 

 

Manchmal ist es einfach falsch, was wir am Anfang des Sonntagsevangeliums hören. Nein, keine Angst, nicht das Evangelium ist falsch, nur sein Anfang. Und dieser Anfang ist noch nicht Evangelium. Wieso? Wir hören ja Sonntag für Sonntag nur einen Ausschnitt aus dem Evangelium, eine Perikope, wie das mit einem, aus dem Griechischen kommenden, Fachausdruck heißt. Und dieser Ausschnitt muss irgendwie eingeleitet werden. Und das geschieht meist durch den uns so vertrauten Satz: „In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern“. Und normalerweise passt dieser Satz auch. Nur heute passt er nicht. Heute ist er falsch und lockt uns beim Verstehen auf eine falsche Fährte. Denn: eigentlich heißt dieser Satz am Beginn: „Jesus antwortete Ihm und sprach...“

 

Wer ist nun dieser „ihm“, dem Jesus mit dem heutigen Evangelium antwortet. „Ihm“, das ist Judas, und zwar, wie Johannes hinzufügt, nicht der Iskariot. Ein zweiter Jünger also, der auf den Namen Judas hört. Von ihm, wie von den anderen Jüngern, verabschiedet sich Jesus im Johannesevangelium mit einer langen Rede. Er hat ihnen die Füße gewaschen, jetzt gibt er ihnen sozusagen sein Vermächtnis mit auf den Weg. Danach beginnt sein Leidensweg. Und diese Abschiedsrede Jesu hat Judas mit einer Frage unterbrochen: „Herr wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren willst?“ Und auf diese Frage antwortet Jesus mit dem Beginn unseres heutigen Tagesevangeliums: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten...“ Bleiben wir bei der Frage des Judas, sie ist ja die verstehensmäßige Eingangstür in das heutige Evangelium. „Herr wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren willst?“ Was motiviert Judas, so zu fragen. Etwa 200 Jahre später wird der römische Philosoph Celsus ähnlich fragen: warum ist Jesus nur seinen Jüngern nach der Auferstehung erschienen und nicht der ganzen Welt? Die Motivation ist klar. Ist das nicht ein Argument gegen die Auferstehung, wenn das wichtigste Ereignis im Leben Jesu der Öffentlichkeit verborgen bleibt. Auf einen ähnlichen Einwand dürfte bereits die Apostelgeschichte antworten. Petrus sagt dort in einer Rede, Gott hat Jesus am dritten Tag auferweckt und ihn erscheinen lassen – und jetzt kommt’s – zwar nicht dem ganzen Volk, wohl aber den von Gott vorherbestimmten Zeugen. Nicht allen ist er erschienen, hat er sich nur einigen Zeugen „geoffenbart“ wie Johannes das in seiner Sprache sagt. Warum bloß jetzt, nachdem die Ausgangsfrage, und damit der Ausgangspunkt der Antwort Jesu klar ist, können wir nochmals in unser Evangelium schauen. Und zwar am besten gleich zu seinem Ende, zum Schlusssatz. Und genau das Ereignis Auferstehung, das in der

 

Ausgangsfrage unseres Textes angeklungen ist, taucht jetzt noch einmal auf. Sie erinnern Sich: die Frage des Judas, warum Jesus sich vor der Welt nicht offenbare, der Auferstandene also nur wenigen, auserwählten erscheine. Der Schlusssatz: Jetzt sage ich euch das, noch bevor es geschieht (es, das ist Tod und Auferstehung Jesu), damit ihr, wenn es geschieht (nochmals: Tod und Auferstehung Jesu), zu Glauben kommt. Der Schritt zum Glauben an den Auferstandenen ist gar nicht so leicht. Braucht Vorbereitung, braucht die Begleitung durch Jesus selbst: Denken Sie nur an die Geschichten, die die Evangelien rund um den Ostersonntag erzählen: die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern, den Frauen reicht nicht aus, er muss Sie ansprechen, muss ihnen erklären was geschehen ist. Und wenn sich schon die, die mit ihm unterwegs waren, die ihn kennen, mit seiner Auferstehung schwer tun, um wie viel mehr dann die „Welt.“

 

Warum: weil durch den Auferstandenen Gott in einer ganz neuen Art in dieser Welt gegenwärtig ist. In der Welt und doch nicht von der Welt, sagt Johannes. Und Jesus im heutigen Evangelium: „Ich gehe fort, und komme wieder zu euch zurück“, beunruhigt euch nicht. Und gleichzeitig zählt er auf, wie er trotz Abwesenheit da ist: in seinem Wort, im Geist, im Frieden, den er hinterlässt.

 

„Herr wie kommt es, dass du dich uns und nicht der Welt offenbaren willst?“. Die Frage des Judas, die unser heutiges Evangelium einleitet. Warum nicht allen? Weil sie’s vermutlich nicht verstanden hätten, nicht mitbekommen würden. Weil sich schon jene, die ihn gut gekannt haben, mit seiner Auferstehung schwer getan haben. Weil Ostern Geheimnis bleibt. Geheimnis des Aufleuchtens der Größe Gottes in dieser Welt.