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Erfüllte Zeit10. 06. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
“Die Speisung der Fünftausend ” (Lukas
9, 11b - 17) Kommentar: Dr. Helga Kohler-Spiegel
Wieder
einmal eine Wundererzählung, und wir können uns mit der Frage
beschäftigen, wie das genau funktionieren kann – diese Vermehrung
von Brot und Fisch, ob das überhaupt funktionieren kann… Wir
werden nicht weit kommen, relativ bald werden wir sagen müssen: Du
kannst es glauben oder nicht. Und das wird davon abhängen, was wir
Gott zutrauen und was wir von Jesus halten. Denn beim
Speisungswunder kommt es nicht auf die Handlung des Wunders selbst
an, diese wird uns auch nicht erzählt, sondern auf das Ergebnis. Das
ganze Neue Testament – und damit auch die Wundererzählungen -
wollen uns zeigen, wer Jesus ist – für uns. Und sie bringen uns
grundlegende menschliche Erfahrungen näher. Gehen
wir den Text nochmals unter diesen beiden Blickwinkeln durch. Die
ganze Szene ist nachösterlich angesiedelt, nicht mehr „die Jünger“,
sondern „die Apostel“ sind im Zentrum. Dem heutigen Evangelium
geht die Aussendung der Jünger voraus, sie sind also gesandt, das
Reich Gottes zu verkünden und zu heilen. Sie sollen die Botschaft
bringen, dass es möglich ist unter Menschen, einander zugewandt und
in Frieden zu leben, einander zu helfen und zu heilen. Sie sind
gesandt, diese „bessere Welt“ sichtbar machen. Und
dann die „Brotvermehrung“, die Speisung der 5000 Männer mit
ihren Familien. Nun sollte der Sendungsauftrag, von dem im Abschnitt
davor die Rede war, konkret werden – die Christinnen und Christen
sollen die Menschen – ganz konkret - satt machen. Das Gegenteil
passiert - im Text heißt es, die Apostel wollen die Menschen
wegschicken, damit sie selbst Essen und Unterkunft finden. Jesus
erinnert die Apostel an ihren Auftrag, wenn er sagt: „Gebt ihr
ihnen zu essen!“ Und dann handelt Jesus. Der Mangel ist klar –
es ist zu wenig da. Aus diesem Mangel wird Fülle, zwölf Körbe
bleiben übrig. Das Reich Gottes fängt wirklich schon an, auch wenn
wir es nicht glauben können. Aus Mangel wird Fülle, aus
Vereinsamung wird Gemeinschaft, aus Hoffnungslosigkeit und
Resignation wird Segen. An
den Details des Textes werden manche Aspekte dieses Wunders noch
deutlicher sichtbar: Die
Menschen sollen sich in Gruppen zu circa 50 Personen zusammensetzen,
in klisíai. „he klisía“ kann auch Tischgemeinschaft bedeuten
und lässt wohl bewusst die Assoziation zu Kirche, zur Ekklesia zu. Das
griechische Wort für die zwölf Körbe, in denen das übrig
gebliebene Brot gesammelt wird, heißt: kóphinoi – Riesenkörbe,
die auf dem Rücken getragen werden, meist gefüllt mit Saatgut für
die Aussaat. Auch wenn, so sagt der heutige Text, alle fürs Erste
satt sind, gilt es noch viel zu säen, zu verkündigen. Die Fülle
ist da, wir müssen nur davon weitergeben. Die
Speisungswunder haben ihre Vorbilder im Alten Testament: Die
Manna-Speisung beim Auszug aus Ägypten (Ex 16 und Num 11) und bei
den Propheten Elija in 1 Kön 17 und Elischa in 2 Kön 4; und es ist
immer dieselbe Botschaft: Gott ist fürsorglich, Gott ist großzügig
– im Übermaß. Zurzeit Jesu wurde der Messias als neuer Mose
erwartet, der erneut Manna in Hülle und Fülle gibt. Und in Jesus
ist dies geschehen – er wird verstanden als der neue Elija und als
neuer Mose. In der Verklärung Jesu, ein paar Verse später, stehen
diese beiden (Elija und Mose) neben dem verklärten Christus. Im
Gegensatz zu den Aposteln (die die Menschen wegschicken wollen)
handelt Jesus seiner Identität gemäß (direkt im Anschluss an die
Speisung folgt das Messiasbekenntnis des Petrus): Jesus verkündet,
er heilt, er speist die Menschen. Und er erwartet die Mitarbeit der
Jüngerinnen und Jünger. Die
menschliche Erfahrung ist bei dieser Bibelstelle nahe liegend. Die
Speisungswunder sind Aufträge an die Christinnen und Christen seit
jeher: Gebt ihr ihnen zu essen! Die Hungernden zu speisen ist ein
zentraler christlicher Auftrag, die Hungernden im realen und im übertragenen
Sinn. Manche Menschen hungern, diese brauchen zu essen – ganz
konkret. Manche hungern nach Anerkennung oder nach Zuwendung,
gesehen werden und ein wenig Wertschätzung spüren wollen wir wohl
alle. Im psychologischen Bereich reden wir von „emotionalem
Hungern“, wenn Gefühle so rar und so spärlich sind, dass sie
nicht mehr spürbar sind, dass wir keine Sprache dafür finden. Im
Speisungswunder klingt auch die Eucharistiefeier an: es wird
vermehrt, was geteilt werden kann – und alle werden satt. Im
Religionsbuch für die 1. Klasse Volksschule, für die sechsjährigen
Kinder heißt es: Was
du teilen kannst Wenn
du klein bist, den
Apfel und das Brot. Wenn
du größer bist, die
Freude und die Not. Dich
selber? Nie! Aber
die Liebe, von
der du lebst: Weißt
du wie? Die
damaligen Christinnen und Christen mussten schon mühsam lernen,
dass sie sich nicht verkriechen und resignieren und die Menschen
nach Hause schicken, sondern „ihnen zu essen geben“, was sie
selbst von Jesus empfangen haben. Bis heute sind wir gefordert: zu
merken, was wir im Verlauf unseres Lebens schon alles empfangen
haben – was immer es sei – „frohe Botschaften“ -
Aufmerksamkeit, Geduld, Zuwendung, Liebe. Und wir sind eingeladen,
dies auch weiterzugeben. Die Apostel, die Kirche hat den Menschen
Nahrung für Körper und Seele zu geben, der Auftrag heißt bis
heute, die Menschen – im wörtlichen und im übertragenen Sinn –
satt zu machen, Hoffnung zu geben und zu heilen, wer immer Heilung nötig
hat. Und an Fronleichnam feiern wir da, dass Jesus Christus dort präsent
ist, wo wir seinen Auftrag weiterleben. Es schadet der Kirche, es
schadet uns allen, wenn wir diesen Auftrag aus den Augen verlieren. Helga Kohler-Spiegel, Dr. theol., Professorin für Humanwissenschaften - Religionspädagogik an der Pädagogischen Akademie des Bundes, Feldkirch/Österreich.
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