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Erfüllte Zeit13. 06. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Begegnung Jesu mit der Sünderin“ (Lukas 7,36 – 8,3) Kommentar:
Univ.
Prof.
Dr. Wolfgang Langer Die
Älteren unter den Zuhörern werden sich vielleicht noch erinnern:
1950, also vor mehr als einem halben Jahrhundert, kam der Film:
„Die Sünderin“ mit Hildegard Knef, damals 25 Jahre alt, in die
Kinos. Es war ein Skandal. Dabei weiß man doch: Frauen sind für
Zuschauer vor allem dann interessant, wenn sie in Extremen
dargestellt werden, als Heilige oder als Huren. Wobei wiederum die
Huren interessanter sind als die Heiligen.
Lukas
erzählt die Geschichte einer Prostituierten, die in der Begegnung
mit Jesus zu sich selbst gefunden hat. Dieser Mann war so ganz
anders als diejenigen, mit denen sie sonst zu tun hatte. Er hat ihr
nicht mit eindeutigen Absichten geschmeichelt. Er hat sie aber auch
nicht verachtet, wie der gesetzesstolze Pharisäer jetzt. Er hat
durch ihre Schminke hindurch geschaut und dahinter den Menschen
gesehen. Nichts als den Menschen: eine Frau in ihrer Lebensnot. Und
dann hat er das, was sie in den Augen der sogenannten „besseren
Gesellschaft“ zum letzten Dreck hat werden lassen, einfach von ihr
weggenommen. Er hat sie mit Gott versöhnt und so ihre Würde als
Frau, als Geschöpf und Ebenbild Gottes wieder hergestellt.
Das hat sie getroffen und im Innersten erschüttert. Sie kann nicht anders, sie muss zu ihm. Und so kniet sie jetzt hinter ihm, der mit einer noblen Männerrunde zu Tisch liegt. Tränen des Dankes und einer nie gekannten Freude strömen ihr aus den Augen. Sie ist eine Andere geworden. Und
Simon? Er ist nur angewidert. Der Logik des Gleichnisses Jesu kann
er sich zwar nicht entziehen, aber er begreift wohl nicht, was Jesus
ihm sagen will.
Selbst als er es ihm auf den Kopf zusagt: “Wem wenig vergeben
wird, der liebt wenig“.
Und Sie? Und ich? In welcher Figur der Erzählung erkennen Sie sich wieder? Ich muss gestehen, dass ich Züge des Pharisäers an mir entdecke. Was hätte Gott mir schon groß zu vergeben? Ich bemühe mich doch, ihm und den Menschen zu dienen, so gut ich kann. Und die „menschlichen Schwächen“, die täglichen kleinen Verfehlungen und Unterlassungen? Ihr Eingeständnis und die Bitte um Vergebung beim Bußakt am Anfang der Messe kommen mir ziemlich formelhaft über die Lippen. Von Erschütterung keine Spur. Die
Tragik der durchschnittlichen Menschen, wie ich einer bin, liegt in
ihrer Mittelmäßigkeit. Das Leben geht so dahin, ohne Höhen, ohne
Tiefen. Selbst unsere Sünden sind noch klein und erbärmlich. Ohne
Höhen, weil ohne
Tiefen? Können wir so wenig von der unermesslichen vergebenden
Liebe Gottes erfahren, weil wir nie in den Abgrund einer wirklich
„großen Schuld“ (Bußakt der Messe) geschleudert wurden?
Adolf
Exeler, mein verstorbener Lehrer und Freund, hat einmal auf die
Frage: Was sind Heilige?, die Antwort gegeben: bekehrte
Sünder. Man kann auch sagen: vom falschen Leben Geheilte.
Nicht jede von uns ist eine Maria Magdalena, nicht jeder ein
Augustinus. Aber wenn wir unser Leben an der Bergpredigt, der
Lebensweisung Jesu für seine Jünger, messen, dann können wir
schon erschrecken. Und dann wird uns vielleicht aufgehen, wie sehr
wir uns freuen dürfen, dass unser Gott „ein gnädiger und
barmherziger Gott (ist), langmütig, reich an Huld und Treue“ (Ex
34, 6).
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