Erfüllte Zeit

20. 06. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Du bist der Messias Gottes“

(Lukas 9,18 – 24)

Kommentar: Pater Gustav Schörghofer

 

Das kurze Stück aus dem Lukas-Evangelium, das Sie eben gehört haben, klingt nicht besonders aufmunternd. Eigentlich hört sich das gar nicht gut an: der Gesandte Gottes, der Retter, der Erlöser des Volkes, gerade der wird von den Autoritäten der Religion nicht anerkannt, verworfen, getötet. Und wer immer diesem Heiland folgen will, soll sich darauf gefasst machen, dass es ihm oder ihr nicht anders ergehen wird.

 

Das erinnert mich an etwas, das Samuel Beckett in einem späten Text geschrieben hat. Der Text heißt „Aufs Schlimmste zu“. Da ist zu lesen: „Alles seit je. Nie was andres. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“

 

Lukas hat die Sätze von Verwerfung und Selbstverleugnung zwischen zwei Geschichten gestellt, die Jesus auf den Höhen des Erfolgs zeigen. Da ist von der Speisung der Fünftausend die Rede, fünftausend Männer, Frauen und Kinder wurden gar nicht mitgezählt. Ein riesiger Event. Alle sind begeistert. Alle sind satt geworden. Und später wird von der Verklärung berichtet. Jesus nimmt seine vertrautesten Freunde mit auf einen Berg. Er zeigt sich ihnen im Glanz seiner Herrlichkeit. In diesen Geschichten tut sich etwas. Da zeigt sich die Macht Gottes, da geschieht eine Verwandlung der Welt. Wer ist da nicht gerne dabei: große Versammlungen mit ihrer mitreißenden Stimmung, Wallfahrten, Treffen, Begegnungen, Reden, Jubel. Alle bekommen zu essen. Alle werden satt. Für den Moment wenigstens. Oder das strahlende Aufleuchten der Gegenwart Gottes, der Glanz der Feste, Gold und Silber, kostbare Gefäße und Gewänder, berauschende Musik, die Pracht alter Kultur, Worte voll hinreißender Macht.

 

Das alles hat über viele Jahrhunderte das Leben der Kirche wesentlich geprägt. Da ging es um machtvolle Repräsentation, um Einfluss auf Völker und Staaten, um die Darstellung der überwältigenden Macht Gottes inmitten der Welt. Etwas von all dem gibt es in Europa auch heute noch. Es gibt noch die großen Versammlungen, Bischöfe repräsentieren noch in den seit Jahrhunderten bestehenden Palästen, Gottesdienste werden noch gefeiert in prachtvollen Räumen, mit prachtvollem Gerät, prachtvollen Gewändern, prachtvoller Musik. Alles das gibt es noch in Europa. Und wird es noch lange geben. Aber ist dieses Christentum der Macht nicht längst eine aussterbende Welt? Hat all das noch Einfluss auf das Leben der Menschen? Die Macht ist ja schon längst anderswo, in anderen Händen.

 

Vielleicht hat die Kirche heute die Chance, etwas zu lernen, das erst dann in den Blick kommt, wenn äußere Größe ihren Glanz verloren hat. Was gibt es nun zu lernen? Die Wahrheit dieses einfachen und alles verändernden Wortes: „Der Menschensohn muss vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er wird getötet werden ...“ Und: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“

 

Ins Herz der Dinge komme ich nicht durch Leistung, durch Erfolg, durch Können, durch Vermögen und was immer ich von mir aus machen kann. Ins Herz der Dinge komme ich, wenn mir das Leben der anderen wichtiger ist als ich mir selber bin und wenn ich bereit bin, im Bemühen um die anderen mich selbst aufs Spiel zu setzen. Immer wieder zu scheitern.

 

Wer bereit ist, das auf sich zu nehmen, wird nicht nur in Jesus einen Verbündeten finden. Er oder sie wird entdecken, dass in dieser so ichverliebt, so machthungrig, so vergnügungssüchtig, so unbarmherzig scheinenden Welt der Geist einer hingebungsvollen Aufmerksamkeit, eines liebevollen Bemühens um andere in vielen Gestalten in Erscheinung tritt, oft dort, wo es gar nicht erwartet worden war.

 

„Alles seit je. Nie was andres. Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ schreibt Samuel Beckett.

 

Im Evangelium lese ich zuerst: „er wird getötet werden“ und dann erst, am Ende des Satzes: „aber am dritten Tag wird er auferstehen“. Ich muss die Reihenfolge einhalten. Auch im eigenen Leben. Ich muss lernen, mich um andere zu bemühen. Und scheitern. Und darf nicht aufhören. Immer wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern. Nur so kann ich an das Ende des Satzes gelangen.