Erfüllte Zeit

04. 07. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die Aussendung der Jünger an Israel“ (Lukas 10, 1 – 12. 17 - 20)

Kommentar: Dr. Christiane Koch

 

Im Alten Testament wird mehrfach davon erzählt, dass Mose Kundschafter aussendet. Vom Ostjordanland aus, wo er mit dem Volk Israel aus der Wüste kommend lagert, sendet er einen aus jedem der zwölf Stämme Israels, mit dem Auftrag, das ganze Land zu erkunden, das Israel bewohnen soll.

 

Im heutigen Evangelium ist erzählt, dass auch Jesus Kundschafter aussendet. Und zwar 72 – das sind 6x12 eine Zahl, die deutlich an die 12 Stämme erinnert und sozusagen aufs Neue die Gesamtheit des Gottesvolkes meint. Jeweils zu zweit sendet Jesus die Kundschafter und zwar „in jede Stadt und jede Ortschaft, wohin er selbst kommen wollte.“ (10,1) Das lässt aufhorchen: jeder Ort, an den Jesus kommt, an dem das Reich Gottes wachsen soll, muss ausgekundschaftet werden; oder anders gesagt: nur ein Ort, an dem Kundschafter waren, kann zum Ort des Reiches Gottes werden; oder nochmals anders könnte das heißen: überall dort, wo Kundschafter leben, kann auch Reich Gottes wachsen. So gelesen, wird der Text über den Lukanischen Kontext hinaus zur alltäglichen Herausforderung. Reich Gottes beginnt dort, wo Kundschafter leben…

 

Was aber heißt es nun Kundschafter und Kundschafterin, Gesandte Jesu zu sein?

 

Auf jeden Fall handelt es sich nicht um einen Sonntagsspaziergang, sondern um Einsatz und Engagement. Denn „die Ernte ist groß und Arbeiter sind wenige“. Doch was das Leben der Kundschafter leicht macht ist, dass sie nichts mit sich herumzutragen brauchen – keinen Sack und keine Tasche. Nichts, was belastet soll mitgenommen werden. Keine Vorräte und keine Wechselkleider; aber insbesondere auch die Rucksäcke voller Sorgen und Probleme, ungelöster Fragen und schwer wiegender Erinnerungen sollen abgelegt - sozusagen bei Jesus zurücklassen werden. Wie kann das gehen? Ungelöstes und Schweres zurücklassen heißt in einem ersten Schritt, es als Last wahrzunehmen und zu bejahen. Und es heißt in einem zweiten Schritt, darauf zu verzichten, dass die Schwierigkeiten jetzt gelöst und die Fragen beantwortet sind. Was man in die Hand nimmt und anschaut, so, wie es eben ist, kann auch übergeben werden.

 

Weiters lassen sich Kundschafter nicht ablenken. Die Anweisung Jesu: „Grüßt niemanden unterwegs“ ist nicht als Aufforderung zur Unhöflichkeit zu verstehen, sondern im Sinne von: Macht euch nicht alles zum Freund, was Euch begegnet – Personen, Meinungen, Ansichten, Trends – lasst euch von all dem nicht unnötig aufhalten, sondern geht euren Weg.

 

Und schließlich ist ein ganz wesentliches Merkmal der Kundschafter, dass sie, wo sie einmal einkehren, bleiben. „Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was es bei Ihnen gibt. … Geht nicht von Haus zu Haus.“ Etwas auskundschaften kann man nicht, wenn man nur auf einen Sprung vorbeischaut. Kundschafter sein, heißt, sich einlassen und bleiben, in gemütlichen oder ungemütlichen, mühsamen oder lustigen Zeiten. Und wenn ein Haus ganz erkundet oder eine Situation wirklich durchlebt ist, dann wird der Aufbruch der Kundschafter ein Fest des Neubeginns.

 

Kundschafter haben nur eine einzige Botschaft: Friede diesem Haus. Keine Überzeugung, keine Bekehrung, keine Ratschläge – vielmehr geht es um das unermüdliche Ausschau halten nach den Spuren des Reiches Gottes auch im verborgensten Winkel.

 

Ein Leben als Kundschafter und Kundschafterin ist in der Tat eine Herausforderung. Doch es gibt eine 100%ige Erfolgsgarantie: alle 72 Kundschafter kehren voller Freude zurück. Sie haben erfahren, dass dort, wo sie als Gesandte Jesu, in seinem Namen leben, die Macht des Unfriedens und des Bösen gebrochen ist.

 

Kundschafter im Alltag des Lebens sind nicht für alles zu haben; sie treffen manchmal unbequeme und unpopuläre Entscheidungen und hin und wieder bringen sie wohl auch ein Stück Ungeordnetes ans Licht; Kundschafter sind denn auch nicht überall erwünscht, aber dort, wo sie waren, bleibt eine Hoffnung zurück…