Erfüllte Zeit

18. 07. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Jesus zu Gast bei Marta und Maria“ (Lukas 10,38 – 42)

Kommentar: Univ. Prof. Rainer Bucher

 

Es gibt Geschichten in der Bibel, deren Aussagegehalt zur Trivialität heruntergekommen ist. Die Jesusgeschichte von Marta und Maria gehört dazu. Nicht, dass es kein wichtiges Thema unseres Lebens wäre, wie sich Tat und Besinnung, Dienen und Hören, vita activa und vita contemplativa zueinander verhalten. Wer nur ein wenig und halbwegs ehrlich in seinen Alltag hineinschaut, hat da viel zu betrachten und vielleicht auch manches zu ändern. Und die fast bis zur Ungerechtigkeit eindeutige Option dieser Geschich­te für die Unterbrechung, die Aufmerksamkeit, das einfach mal Aussteigen-Können aus der permanenten Beschäf­tigungs­kette des Alltags, sie ist schon beachtens­wert.

 

Aber wäre die Geschichte einfach nur die Anleitung zu einer balancierten Lebensführung, wäre das zwar richtig, aber auch trivial. Es geht im Evangelium schon um mehr. Drei Beobachtungen.

 

Erstens: Wie verhalten sich hier eigentlich Wort Gottes und Nächstenliebe? Also das Dienen der Martha und das Hinhören auf Jesus? Da scheint die Antwort unserer Geschichte klar: Das Wort, das von Jesus kommt, geht vor. Man darf es nicht überhören, selbst nicht in der Geschäftigkeit des Dienstes am anderen.

 

Freilich: Die Evangelien sind kluge theologische Kompositionen. Nun steht exakt vor der Maria-und-Marta Geschichte eine andere, ebenso berühmte Erzählung mit praktisch gegenteiliger Aussage: Das Samaritaner-Gleichnis. Dessen fast skandalöse Spitze lautet: Wenn es um das Heil geht, kommt es nicht darauf an, welche Religion man hat, ob man etwa Jude, gar Priester oder nicht so ganz rechtgläubiger Samaritaner ist, sondern es kommt nur darauf an, dass man jenen hilft, die "unter die Räuber gefallen" sind.

 

Was soll diese Kopplung fast gegensätzlicher Aussagen bedeuten? Offenkundig gilt hier: Was Jesus sagt, das steht im Samaritergleichnis, dass man auf ihn hören soll in der Martha-Maria Geschichte. Das Wort, das wir von Jesus hören sollen, das Wort, in dem Gott zu uns spricht, das Wort, auf das es ankommt und das wir nicht überhören dürfen, das ist das Wort von der Barmherzigkeit Gottes als Geschenk und Auftrag unseres Lebens. Es steht übrigens genau im letzten Satz des Samariter­gleichnisses und unmittelbar vor unserer Geschichte. Es lautet "Dann geh und handle genauso"!

 

Eine zweite Beobachtung: Es sind Frauen, an denen die junge Gemeinde hier ihre internen Abstimmungs- und Rangprobleme abarbeitet. In dieser Geschichte spiegeln sich nämlich auch konkrete Konflikte der frühen Kirche - und es sind die Frauen, die für diese Kirche stehen. Das ist nicht selbstverständlich: Das Belehren einer Frau war nicht die Art eines Rabbi. Hier spricht sich die durch Jesu Verhalten begründete neue Stellung der Frau im konkreten Gemeindeleben der ersten Christen aus.

 

Das ist ja kein Einzelfall im Neuen Testament: Von den Frauen unter dem Kreuz bis zu den ersten Auferstehungszeuginnen: es sind auffällig die Frauen, die begreifen, worum es geht, die tapfer, treu und aufmerksam sind, und auffällig die Männer, die dazu immer erst bekehrt werden müssen. Da stellt sich schon die Frage, ob die Kirche hier ihren Anfängen wirklich treu geblieben ist.

 

Und dann ist da noch diese verstörende Aussage Jesu zum Schluss, dass der "bessere Teil" Maria nicht mehr weggenommen werde. Warum? Was soll das heißen? Was kann nicht weggenommen werden?

 

In der Geschichte ist es klar: Marias besserer Teil ist das Wort Gottes. Freilich: Auch das kann genommen werden. Man kann den Glauben verlieren, die Hoffnung und die Liebe. Es passiert immer wieder, jedem und jeder. Wenn nicht ganz, so doch in Teilen, leider. Als unser Projekt ist das alles prekär.

 

Was kann nicht genommen werden? Das Wort Gottes ist immer noch die Antwort des Textes. Noch einmal ist zu fragen: Was bedeutet dieses Wort?

 

Eine der schönsten Zusammenfassungen steht bei Paulus, im Römerbrief: "Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel und Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn."

Das also kann nicht genommen werden, niemandem.