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Erfüllte Zeit01. 08. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Das Gleichnis von der falschen Vorsorge“ (Lukas 12,13 – 21) Kommentar: Dr. Helga Kohler-Spiegel
Viele
von uns werden die Situation kennen: Erbe sollte geteilt werden, und
es kommt darüber zum Streit unter den Geschwistern. Jesus wird als
Streitschlichter angefragt. Um
den Text besser verstehen zu können, braucht es einige
Informationen über das jüdische Erbrecht. Im Judentum wurde das
Erbe eines Mannes als Ganzes aufgefasst. Trotz Teilung unter Erben
bestand das Ideal, dass die Teilung nicht materiell durchgeführt
werden sollte, sondern dass die Erben "zusammen leben"
oder - wie die Bibel sagt - "unter Brüdern leben". Der älteste
Sohn erhielt das Doppelte im Vergleich zu seinen Brüdern, musste
aber dafür für die Witwen und die ledig gebliebenen Töchter in
der Familie aufkommen. Ein Sohn aber konnte jederzeit verlangen,
dass die Erbschaftsanteile konkret getrennt wurden. Hier scheint das
Problem zu liegen, dass der eine Bruder diese konkrete
Erbschaftsteilung verlangt, der andere Bruder diese aber nicht
vollziehen will. Jesus
reagiert auf einer ganz anderen Ebene. Unwirsch lehnt er die Bitte
des Mannes ab und führt eine andere Perspektive ein: Habgier.
Habsucht und Überfluss stehen in Spannung zueinander. Hinter der
Habsucht steht wohl eine Angst, zu kurz zu kommen, alles für sich
selbst haben zu wollen, nur über das Haben sicher und etwas wert zu
sein. Und
dann wird der Text erschreckend klar. Immer wieder, wenn ein Mensch
in unserer Umgebung sehr plötzlich stirbt, werden wir mit dem überraschenden
Tod konfrontiert. Es macht betroffen, wenn jemand aus dem alltäglichen
Tun herausgerissen wird und stirbt. Es trifft ins Herz, dass jemand
ohne Vorbereitung und ohne Abschied plötzlich nicht mehr da ist. Es
konfrontiert uns mit unserer eigenen Vergänglichkeit, mit der
Zerbrechlichkeit des eigenen Lebens. Und wir wissen: Alles Geld kann
uns nicht vor dem Tod bewahren, wir
haben unser Leben nicht "im Griff", wir haben es nicht in
der Hand. Diese
Erfahrung spricht Jesus an. Es dominiert das Wort „sagen“, es
geht um Gespräch, um Kommunikation. Bereits im vorausgegangenen
Abschnitt geht es um das Wort und den Dialog in verschiedenen
Situationen. Im heutigen Evangelium zeigt sich, wie Dialog nicht
gelingt: Der Mann mit seinem Erbschaftsproblem und Jesus finden sich
im Gespräch nicht, und Jesus wendet sich "den Leuten" zu
mit seiner Warnung vor der Habgier. Und dann erzählt Jesus - wieder
einmal - eine Beispielgeschichte: Ein reicher Mann erwartete eine
gute Ernte. Seine Arbeit ist ihm gelungen, das Land ist fruchtbar
und die Ernte wird reich sein. Und im inneren Dialog überlegt der
Mann, was er mit seinem Reichtum tun könnte. So weit, so gut. Der
Mann hat den Reichtum nicht unredlich erwirtschaftet, er hat Erfolg
und Glück: "Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des
Lebens." Du bist abgesichert und hast alles, Dir kann nichts
passieren. Das
ist, denke ich, mitvollziehbar, dass ein Mensch nach engagierter und
erfolgreicher Arbeit sein Leben genießen will. Und doch: Der Mann
redet nur mit sich selbst, der Mann überlegt nur für sich, was er
mit seinem Reichtum machen soll. Der Mann ist sich seiner Einsamkeit
nicht bewusst, es fehlt das Gespräch mit anderen Menschen und das
Teilen mit ihnen. Der Mann kann niemandem von seinem Glück und
seiner Freude erzählen, er redet nur mit sich selbst. Und es fehlt
das Gespräch mit Gott, es fehlt das Wissen darum, dass der Reichtum
und die gute Ernte von Gott gegeben sind. Auf das, was der Mann von
der Natur und durch seine Arbeit bekommen hat, hätte er nicht mit
Anhäufen, sondern mit Geben antworten sollen. Gott gibt, und der
Mensch verweigert zu teilen. Da
kommt - im Text des Evangeliums - Gott ins Spiel. Der Dialog, den
der Mann vergessen hat, findet jetzt statt. Erschreckend klar werden
wir daran erinnert, dass unser Leben nicht in unserer Hand ist, dass
unser Leben begrenzt ist. Die Beispielgeschichte Jesu macht weder
Erfolg noch Reichtum schlecht, sondern der Umgang des Mannes damit
wird kritisiert. Gott kommt ins Spiel - und so wird deutlich, dass
es darum geht, den Reichtum nicht nur im Blick auf uns selbst,
sondern auch im Blick auf unsere Mitmenschen zu nutzen. Und wir
werden erinnert: Wir glauben, durch Reichtum und Geld uns Sicherheit
erkaufen zu können. Doch schon die frühen Christinnen und Christen
mussten realisieren: Wir sind nur „sicher“, wenn wir riskieren,
uns auf Gott zu verlassen. So geht der Text im Lukas-Evangelium auch
weiter: Sorgt euch nicht… Schaut auf die Vögel des Himmels,
schaut auf die Lilien auf dem Felde… Sorgt euch nicht!
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