Erfüllte Zeit

22. 08. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Reich-Gottes-Ermahnungen“

(Lukas 13, 22   30)

Kommentar: Dr. Barbara Pfaffenwimmer

 

In der Gesprächssituation, die das Lukasevangelium schildert, antwortet Jesus auf die Frage nach der Zugehörigkeit zu „seinem Reich“: Wenn deine Liebe eine soziale Praxis des Unrechts nach sich zieht, führt sie sich von der Beziehung zu Gott weg.  Wenn das Einhalten religiöser Pflichten und Normen zur Ausgrenzung und Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden führt, darfst du dich nicht wundern, dass zwischen Gott und dir die Trennung immer größer wird, ja dass ihr einander fremd werdet. Wenn du glaubst, dass sich aus der Erfüllung der Gebote irgendein Anspruch nach Macht oder Rang oder Namen ableiten lässt oder du dir dadurch etwas bei Gott „verdienen“ würdest oder du ihn in seinem Handeln beeinflussen könntest, täuscht du dich sehr!

 

Gott handelt anders als wir es erwarten. Bei Gott sind die Fragen nach Zugehörigkeit und Rang und Platz und Geltung und Namen anders geordnet. Die Ordnungen der Liebe in Gottes Nähe, in seiner messianischen Gesellschaft, sind anders als die unseren.
Oder mit Meister Eckehard gesprochen, dem mittelalterlichen Mystiker: Gott ist allezeit bereit. Wir aber sind unbereit. Gott ist uns nahe, war aber sind ihm fern. Gott ist drinnen, wir aber sind draußen, Gott ist in uns daheim, wir aber sind in der Fremde.

 

An vielen Stellen im Evangelium betont Jesus immer wieder: die Art und Weise wie du Gott liebst und wie du die Beziehung zu deinen Nächsten und deinem Umfeld gestaltest gehören zusammen: Nicht jeder der SAGT, Herr, wird auch in das Reich Gottes gelangen, sondern die sind „drinnen“, die TUN was der Vater Jesu von ihnen möchte.
Die Erfüllung des Gebotes Gott zu lieben aus ganzem Herzen, mit ganzer Seele mit ganzem Denken und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, muss sich messen lassen an sozialer Praxis. Die soziale Praxis ist das Maß und nicht die Pflichterfüllung oder die kulturelle oder nationale Herkunft.

 

Jesus gibt also weder den Menschen damals noch uns heute einen billigen Trost auf die Frage nach der Zugehörigkeit zu Gott und seinem rettenden Handeln an uns. Er schenkt uns auch keinen faulen Frieden, der aus der Verantwortung und Reflexion auf das eigene Tun entlassen würde, ebenso wenig zeichnet er Gott als einen streichelweichen, der lieb und nett ist. Im Gegenteil. Der Hausherr im biblischen Bild zieht eine klare Grenze, ja er schließt sogar denen die Tür, die glauben, sie würden dazugehören und weißt sie klar von sich: „Ich weiß nicht, woher ihr seid?“.
Und doch: wie sehr benennt die geschilderte Szene doch auch die Schmerzen, die mit diesem Handeln auf beiden Seiten verbunden sind und die wir doch so gut aus unseren Liebesziehungen kennen!  Denn wie sehr kann das Verbundensein dem Unverständnis weichen!
Wie sehr kann das erlebbare Anderssein des Anderen an die Grenzen der Verständigungsfähigkeit führen! Ja das Anderssein des Anderen kann auch die Ferne und sogar das Erschrecken über mein Gegenüber bis zur Grenze der Entfremdung in Erfahrung bringen. Und wie gut kennen wir die Gefühle von Wut und Schmerz, wie gut die großen  Enttäuschungen und die Trauer darüber, dass mein Gegenüber eben nicht so ist, wie ich es gerne möchte, dass er oder sie sich eben nicht so verhalten, wie ich mir das wünsche. Jesus erzählt Gott anders, als wir ihn möchten?!

 

Und wir Menschen, erzählen wir uns anders, als Gott uns möchte?!

 

Nach dem Theologen und Psychotherapeuten Peter Schellenbaum benötigen wir für echte, authentische Liebesziehungen die Fähigkeit zum NEIN. Er behauptet, wer in der Liebe zum andern nicht lernt, nein zu sagen und sich abzugrenzen bleibt immer Kind und kann sich eigentlich nicht wirklich erwachsen begegnen. Die Fülle einer Beziehung kann sich ohne dieses Nein nicht entfalten.
Könnte die Fähigkeit zu diesem NEIN auch ein Schlüssel für das Verstehen der heutigen Lukasstelle sein?
Könnte dieses „NEIN IN DER LIEBE“ provozieren zu einem Aufbrechen aus Gewissheiten über den anderen in eine neue Fremde: Gott ist immer unendlich anders als wir ihn uns denken und wünschen; auch wir selbst sind - bei Licht gesehen und in Wahrheit - unendlich anders, als es hier und jetzt der Fall ist oder wie es in einem anderen Schriftwort heißt: „ ... Was wir sein werden, ist noch nicht offenbar geworden. Wir wissen, dass wir ihm ähnlich sein werden, wenn er offenbar wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Jeder, der dies von ihm erhofft, heiligt sich, so wie er heilig ist.“