Erfüllte Zeit

29. 08. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Die umgekehrte Ordnung im Reich Gottes: Der letzte Platz“

(Lukas 14, 1. 7 - 14)

Kommentar: Dr. Anton Kalkbrenner

 

Bibelreferent der Erzdiözese Wien, Theologe und Erwachsenenbildner im Kath. Bildungswerk

 

Im Lukasevangelium ist Jesus auf Reisen. Momentan gönnt er sich zur Abwechslung eine Pause. Eingeladen zu einem Mahl macht er sich so seine Gedanken über die hastige Platzwahl der Eingeladenen. Was er ihnen zu sagen hat, ist keine Tischrede mit Lobhudeleien, sondern eine Mahnung gegen die Selbstüberschätzung. Mit einem Beispiel macht er deutlich: es könnten noch Angesehenere zum Gastmahl anrücken und du müsstest zurücktreten. Daher bescheide dich selbst – aufsteigen ist angenehmer als abstürzen. Schon in der Antike - und somit auch zur Zeit Jesu - war es Brauch, als angesehene Person in letzter Minute oder knapp zu spät zu kommen – da müssen alle Unwichtigen weichen und alle Unbedeutenden aufstehen. Und man wird von allen gesehen.

 

Was will Lukas mit diesem Gleichnis Jesu vom rechten Platz den Leserinnen und Lesern sagen? Hat es schon urkirchliche Probleme mit der Sitzordnung beim eucharistischen Mahl gegeben oder blickt Jesus voraus auf das endzeitliche Mahl und möchte Grundsätzliches sagen?

 

Wahrscheinlich beides! Der Kernsatz der heutigen Perikope zieht sich durch das ganze Lukasevangelium – angefangen beim Lobgesang Mariens:

„Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Und es ist feste biblische Überzeugung, dass Gott das Hohe erniedrigt und das Niedrige erhöht. Denn bei Gott gibt es keine Privilegierten.

 

Lukas, der Evangelist der kleinen Leute, des Fußvolkes, der Armen, der Frauen und Kinder stellt das Kontrastprogramm Gottes dar, das eine Umkehrung der Verhältnisse bewirken soll.

 

So wendet sich Jesus in einer zweiten Rede – wieder mit einem Beispiel – an den Gastgeber – also an jeden, der Einladungen ausspricht. Und wieder bewegen wir uns auf zwei Ebenen: auf der sozialen und theologischen.

Beide gehören zusammen. Vier sympathischen Gruppen stehen vier unsympathische gegenüber. Es ist doch eine ungeheuerliche Provokation, dass man die netten Leute nicht einladen soll.

 

Wie kommt Lukas dazu, weltliche Gewohnheiten so zu kritisieren und ein geläufiges Sprichwort in Frage zu stellen: gleich und gleich gesellt sich gern?

Es ist göttliche Radikalität, die ans Äußerste geht – beim Mahl nicht rechts oder links vom Gastgeber zu sitzen oder zu liegen, sondern am äußersten sozialen Rande. Nicht die Freunde, Verwandten, Nachbarn und Geschwister sind die Gleichberechtigten, sondern die Verkrüppelten, Habenichtse, Lahmen und Blinden.

Jesus selber schlägt diese neue göttliche Ordnung vor und ermöglicht sie durch sein eigenes gelebtes Beispiel: Er erfüllt, was er sagt.

 

Für ihn gibt es keine komplizierte Hierarchie, sondern einen gleichen Empfang des Gottesreiches für alle – auch für die Drängler um die Ehrenplätze und die Reichen? Die haben doch die Hoffnung auf irdische Vergeltung: auf eine Gegeneinladung.

 

Was wird denen verheißen, die keine Gegeneinladung zu erwarten haben, aber in Demut und Hingabe auf die Zukunft des Gottesreiches vertrauen?

 

Wer sich nach Gottes Ordnung ausrichtet und sozial handelt, wer sich an der Praxis Jesu orientiert und ihm vertraut, dem ist ein Lohn jenseits des Todes zugesagt: du wirst selig sein. Der Gott Jesu Christi ist nicht nur Grenzgänger – er ist auch Grenzüberschreiter. Und die schmerzlichste Grenze des Lebens ist der Tod. Wer durchhält, wird eine endgültige Befreiung erfahren – die Auferstehung von den Toten.

 

Wie hat dieser Text in der Kirchengeschichte nachgewirkt?

Wir kennen positive Beispiele der Jesusnachfolge, aber auch ein durch und durch weltliches Gerangel um Ehrenplätze sogenannter frommer Christen, ein gieriges Streben nach höchsten Ehrentiteln – wer darauf verzichtet, wird für weltfremd gehalten. Der Priesterdichter Martin Guttl hat es abgelehnt betitelt zu werden – auch post mortem wird seine Entscheidung respektiert. Hat er vielleicht fest auf Gottes Lohn gesetzt, während andere sein Gottvertrauen für dumm hielten?

Und schließlich soll es nicht nur in Qumran, einer jüdischen Siedlung am Toten Meer, Versuche gegeben haben, Invalide und Kranke von den Gottesdiensten auszuschließen. Wie können Menschen heil und heilig werden, wenn ihnen die heilenden Zeichen verwehrt werden?

 

Das heutige provokative Sonntagsevangelium kämpft für die Heiligkeit des Gottesvolkes und gegen die Erstarrung, den Lokalpatriotismus, den Fremdenhass und die Beschränkung auf das, was vor dem Taufnamen

steht.