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Erfüllte Zeit26. 09. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Pater Gustav Schörghofer SJ Lukas 16, 19 – 31 Den Juden zur Zeit Jesu war die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod
vertraut. Die Freude der Seligkeit wird im Bild eines Festmahls
geschildert. Damals lagen die Gäste bei Tisch und ein Tischnachbar
kam mit seinem Kopf etwa in Brusthöhe des nächsten Gastes zu
liegen. Lazarus liegt so auf dem Ehrenplatz gleich neben Abraham und
genießt das herrliche Fest. Dem Reichen jedoch, sein Name wird
nicht einmal erwähnt, geht es schlecht. Er ist von Abraham getrennt
an einem Ort der Schmerzen und der Not. „Ich leide große Qual in
diesem Feuer“ ruft er Abraham zu.
Wie konnte es zu dem krassen Unterschied zwischen den beiden kommen? Es
hat doch keiner von beiden etwas Schlechtes getan. Der eine hat sein
Leben in Reichtum genossen, so wie es ihm zugefallen ist. Der
andere, Lazarus, hat seine Armut hingenommen – so, wie sie ihm
zugefallen ist. Ein jeder der beiden hat sein Leben an seinem Ort
gelebt. Aber anscheinend genügt das nicht. Anscheinend ist es
zuwenig, die Freuden dieser Welt zu genießen. Es sich gut gehen
lassen in einer Welt des Schönen, Angenehmen, Feinen, in einer Welt
der gepflegten Unterhaltung, der kultivierten Genüsse, das ist
anscheinend zuwenig.
Ich weiß das. Und Sie wissen es sicher auch. Wenn ich nur ein bisschen
Ahnung habe von Glück, von Freude, wenn ich das irgendwann einmal
verspürt habe, dann weiß ich, dass in allem immer etwas fehlt. Es
ist immer zuwenig. Nicht nur der Reiche steckt in mir. In mir steckt
auch der arme Lazarus, der Tag für Tag den Mangel erfährt, einen
nicht zu sättigenden Hunger. Wenn ich mich diesem Lazarus gegenüber
versperre, dann baue ich meine Welt auf dem Fundament einer Lüge.
Ich sage: Es gibt keinen Lazarus, es hat ihn nie gegeben. Je öfter
ich das sage, desto höher muss ich die Mauer bauen, desto dichter
den Zaun um mich ziehen, desto schärfer die Grenze bewachen. Aber
Lazarus ist in mir, er ist längst schon in meiner Welt. Wenn ich
versuche, ihn zu töten, töte ich mich selbst. Wie entkomme ich
dieser Hölle, die ich mir selber bin?
Lazarus ist mein Befreier. Kein anderer. Ich muss ihn mir zu Herzen gehen
lassen. Nicht, um sentimental ein Gefühl des Mitleids zu genießen,
um letztlich doch wieder im Selbstgenuss zu ersticken. Sondern um
mich von ihm öffnen zu lassen. Lazarus öffnet mich für die
Erfahrung des Entgegenkommens. Lazarus kann mich lehren: Die Welt
kommt mir als Geschenk entgegen. Sie schenkt mir die Erfahrung einer
Zuwendung, die Verheißung einer Fülle. Ihre Sprache mag ärmlich
sein, die konkrete Erfahrung belanglos erscheinen. Wenn ich sie zu
deuten weiß, schenkt sie mir den Schlüssel zu einem unfassbaren Glück.
Die Hunde. Wer beachtet die Hunde in dieser Geschichte. Sie tun das, was
der Reiche mit Leichtigkeit hätte tun können. Und doch nicht getan
hat. Sie gehen hin zu dem Geplagten. Sie wenden sich ihm zu. Sie
schenken ihm Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Sie sind der Einbruch
Gottes in das Leben des Lazarus. In ihrem einfachen Tun liegt die
Verheißung einer unfassbaren Fülle. Denn Gott, der Gott des Mose
und der Propheten, er ist wie diese Hunde. Er verschließt sich
nicht der Not des Elenden. Er schaut auf den Armen und Geplagten.
Ihm geht sein Leiden zu Herzen. Er wendet sich ihm zu. Er schenkt
ihm Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Und er befreit ihn.
Lazarus ist mein Befreier. Wenn ich den Lazarus in mir annehme, dann holt
er für mich Gott in die Welt. Selbst wenn sich das Entgegenkommen
Gottes so bescheiden zeigt wie im Lecken eines Hundes. Je tiefer das
Bewusstsein meiner Armut ist, desto feiner wird mein Gespür für
die unscheinbarsten Gesten der Zuwendung werden. In all dem verbirgt
sich die Verheißung unfassbarer Herrlichkeit. Die Hunde lecken an
den Wunden des Lazarus. Sie sind für ihn die Nähe Gottes. Denn
Gott ist wie die Hunde des Lazarus. Der Gott Jesu Christi ist nicht
der Gott einer abgeschlossenen schönen Welt. Er ist ein Gott der
Zuwendung und der zärtlichen Nähe zum wunden Fleisch meiner Armut.
Das sollten Sie nicht vergessen. Gerade jetzt nicht, in dieser Zeit der
Mauern, der scharf bewachten Grenzen, der raffinierten
Sicherheitssysteme. Die Hunde des Lazarus können Sie vielleicht
daran erinnern.
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