Erfüllte Zeit

10. 10. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Die Heilung der zehn Aussätzigen“ (Lukas 17, 11 – 19)

von Dr. Gerhard Bodendorfer

 

Das heutige Evangelium zeigt Jesus als Heiler und Retter, der ganz im Kontext jüdischen Lebens steht. Leprakranke, von denen hier die Rede ist, wurden von der Gesellschaft ferngehalten, um Ansteckungen zu vermeiden. Ein komplexer Ritus durch die Priester besiegelte die Ausgrenzung, die jedoch jederzeit wieder aufgehoben werden konnte, wenn der Kranke genas. Dann wurde er ebenso mit einem eigenen Ritus wieder für rein erklärt, also in die Gemeinde erneut integriert. Als Jesus die Leprakranken, - im Übrigen aus der Ferne und ohne sie zu berühren, heilt, schickt er sie zu den Priestern, um diesen Akt der Reinigung zu vollziehen. Er entspricht damit ganz und gar den Gepflogenheiten. Die 10 Kranken hatten ihn vorher mit einem Ruf des Erbarmens in absoluter Anerkennung seiner Autorität um Hilfe gebeten. Hierin liegt die eigentliche Sprengkraft des Textes. Alle haben Jesu Kraft erkannt, seine Fähigkeit, Kranke gesund zu machen. Der Blick Jesu ist dabei von einem Mitleid gezeichnet, das ganz und gar an das Erbarmen Gottes erinnert, dem vor allem der Psalmenbeter begegnet. Diese Nähe Jesu zu Gott kommt besonders in jener Szene zum Ausdruck, in der einer von den 10 umkehrt. Die Abfolge der Ereignisse ist wichtig. Während die übrigen 9 ihre Heilung befriedigt zur Kenntnis zu nehmen scheinen, dreht einer zu Jesus um. Noch bevor er wieder bei ihm ist, noch auf dem Weg, lobt er Gott und dankt ihm. Erst dann kommt er zu Jesus und wirft sich ihm zu Füßen. Es geht also nicht um eine Identifikation Gottes und Jesu, vielmehr wird die Botschaft vermittelt, dass die Heilung durch Jesus immer nur als Ausdruck der durch sie vermittelten Gotteskraft, seiner Zuwendung zum Menschen, seiner Veränderung der menschlichen Alltagswelt verstanden werden kann. Wenn Jesus Menschen heilt, dann tut er es, weil darin bereits im Ansatz das Reich Gottes spürbar wird. Darum ist nur der ganz im Glauben, der hinter den Zeichen den Gemeinten selber wahrnimmt, nämlich Gott, der sich Raum schaffen will. Wer Jesus nur als Wunderheiler ansieht, hat keinen wirklichen Glauben. Glaube, der wirklich wirkt, also im biblischen Sinn den Menschen vor Gott rettet, bedeutet weit mehr.

 

Wie auch die Geschichte vom sog. Barmherzigen Samariter wurde auch die des heutigen Evangeliums gerne gebraucht, um den Unglauben der Juden in der Umgebung Jesu anzuprangern. Der Samaritaner, von den Juden mit Misstrauen betrachtet, sei das leuchtende Gegenbild des Glaubenden. Doch sieht man genauer hin, greift eine solche Deutung viel zu kurz. Genau genommen versteht man die Aussage auch ohne den Nebensatz vom Samaritaner sehr gut. Dass der Evangelist  hier einen Samaritaner einfügt, ist wohl Ausdruck der Erfahrung der nachjesuanischen Kirche, dass nämlich die Botschaft Jesu sich vor allem zu den Peripherien ausbreitete, letztlich zu den Nichtjuden, die das bestimmende Element der Kirche werden sollten. Die Botschaft selbst aber trifft jeden einzelnen und darf keineswegs als Konflikt zwischen Juden und Nichtjuden gedeutet werden. Die Botschaft lautet vielmehr: Glaube hat nichts mit Wunderheilung oder Esoterik zu tun, sondern mit Gott, dessen Kraft Leben schenkt. Jede und jeder einzelne von uns ist daher zu der Entscheidung aufgerufen, das Gute einfach gedankenlos zu akzeptieren oder aber freudig und dankbar der Quelle Gott zu begegnen.