Erfüllte Zeit

17. 10. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

„Gott nicht in Ruhe lassen“

(Lukas 18, 1 – 8)

von Univ. Prof. Dr. Wolfgang Langer


„Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde (noch) Glauben vorfinden?“ Eine Frage, die wir in einem Evangelium wohl kaum erwartet hätten. So könnte ein besorgter Kirchenmann unserer Tage fragen – angesichts anhaltender Kirchenaustritte. Schwindet die Bedeutung des Christentums für die Menschen in Europa nicht zusehends?

Was geht damit verloren? Vieles, so werden manche sagen, auf das wir ganz gut verzichten können. Und sie denken dabei an die Sünden der Kirche: An die harten Moralpredigten früherer Zeiten, die Menschen niedergedrückt und krank gemacht haben. An das oft muffige, leib- und lebensfeindliche Klima, das so lange in der Kirche geherrscht hat – gegen die ihr anvertraute Frohe Botschaft. Aber auch an manchen unbarmherzigen Umgang mit Menschen noch heute, etwa mit Geschiedenen, die wieder heiraten.

Was geht mit dem Glauben verloren? Leider vieles, was Menschen eigentlich nicht entbehren können. Vor allem die Hoffnung auf eine offene Zukunft, die nicht in unseren Händen liegt. Auf einen Gott, der auf uns „ zu kommt“, um zu vollenden, was er mit der Schöpfung begonnen hat. Wer „allezeit betet und nicht nachlässt“: das ist nicht jemand, der unaufhörlich endlose Gebete murmelt. Es ist ein Mensch, der sein Herz offen hält für das angesagte Kommen Gottes. Der sich nicht beirren lässt in seinem Vertrauen auf den, den Jesus uns als einen liebenden Vater zeigt. Auch nicht von den Widrigkeiten des Lebens, die hier und jetzt erfahren und erlitten werden müssen.

Aber „die Leiden dieser Zeit“ (Röm 8, 18), die nicht aufhören wollen, was uns in unserem Leben bedrängt und ängstigt: das kann unser Vertrauen mürbe machen. Es kann unsere Hoffnung ermüden lassen. „Wie lange noch?“ (Ps 13, 2f). Gott schweigt zu den Opfern der Kriege, zu den Verfolgten und Misshandelten, zu den Verhungernden, von Krankheiten und Katastrophen Hinweggerafften. Auch wenn sie „Tag und Nacht zu ihm schreien“.

Dennoch: Wenn schon ein gottloser und Menschen verachtender Richter dem Drängen einer hilflosen Witwe nachgibt, weil sie ihm lästig und vielleicht sogar bedrohlich wird – wie sollte Gott nicht... Auch wenn er zu zögern scheint. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege – Spruch des Herrn. So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken“ (Jes 55, 8f).

Es ist nicht leicht, in Geduld zu warten. Aber wer betet: „Dein Reich komme“, immer wieder, und: „Dein Wille geschehe“, der drückt damit seine lebendige, manchmal geduldige, manchmal verzweifelte Hoffnung auf diesen, trotz allem doch menschenfreundlichen Gott aus. Und er bestärkt sich damit selbst in dieser Hoffnung. Wenn es uns ernst ist mit unserer Sehnsucht nach Gerechtigkeit, Leben und Heil, dann dürfen wir Gott  nicht „in Ruhe lassen“.