Erfüllte Zeit

31. 10. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

„Die Begegnung Jesu mit Zachäus in Jericho“ (Lukas 19, 1 – 10)

von Pater Leo Wallner SJ

 

"Small" ist keineswegs immer "beau­tiful"! Die Leute, die diesen boshaften Zwerg gekannt haben, aus der Nähe und aus eigenem Schaden kennen gelernt hatten - anders als "dieser Fremde da"! -, die haben schon gewusst, warum sie sich aufre­gen! Und sicher wäre es ohne "diesen Fremden da", ohne den überra­schenden Jesus von Nazaret, auch für ihn, den Herrn Zollpächter und Halsabschneider,  immer so weitergegangen: "Wenn ihr mich schon nicht liebt, dann sollt ihr mich wenigstens fürchten! Wenn ich schon in euren Augen nur eine halbe Portion bin, dann verschaff' ich mir eben anders­woher Gewicht und Größe, und wenn ich sie mir beim Teufel in Rom hole! Nennt mich nur einen Abtrünnigen und Kollaborateur; ich zeig euch schon, wer da das Sagen hat!"

 

Wie gesagt: das wäre wohl immer so weitergegangen, wenn da nicht einer gekommen wäre und ihn neugierig gemacht hätte! Neugierig und unvorsichtig! Eigentlich hat er sich ja lächerlich gemacht als Baumkrax­ler. Damit hat er doch rechnen müssen, dass sie ihn da oben bemerken und dann ihre Bemerkungen machen. Die dann dieser Fremde da ge­hört und mit seiner naiven Berechnung quittiert hat: "Zachäus! (auf wienerisch vielleicht "Zacherl!") Gschwind! Komm runter! Heut muss ich bei dir übernachten!" Als ob da nicht genug Fromme gewesen wären, die mehr Recht gehabt hätten auf diese Ehre!

 

"Und überhaupt", so sinniert der Überraschte weiter, "er war ja schon durch die Stadt durch und am Ortsausgang angekommen! Hat also gar nicht vorgehabt, in Jericho zu bleiben. Wir haben dann ja wieder zurück müssen in die Stadt! Ich habs ihm also angetan! Er hat von mir etwas erwartet, was den anderen, die mich gekannt haben, nie im Schlaf eingefallen wäre! „Komm geschwind runter, Zachäus“, hat er gesagt, „herunter von deinem Hochsitz der Neugierde und der stur-stolzen Ausgegrenztheit, verlorener Sohn Abrahams! Der Menschensohn sucht dich, gerade dich, und will dich retten. Du kannst auch anders!"

Dieses "Du kannst auch anders!" ist dem Zolloberpächter nicht aus dem Sinn gegangen und hat ihn umgewandelt. Jahre danach, bis an sein Lebensende, sooft er zurückgedacht hat an damals, ist er Jesus dankbar gewesen dafür! Ja, small ist keineswegs immer schon beautiful - jedenfalls von außen betrachtet! Schön hin, schön her: jedenfalls, was klein ist, ist unwichtig, hat keine Bedeutung und kein Gewicht - bei den Menschen! Anders bei dem Gott, an den die Bibel glaubt, und den Jesus seinen Menschengeschwistern nahe bringen wollte: Er sorgt und kümmert sich um jedes einzelne seiner Geschöpfe, "hat mit allen Erbarmen", wie es im Buch der Weisheit in der heutigen Lesung geheißen hat, "und sieht über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren."

 

Und das, obwohl zugleich das andere Wort aus derselben Lesung wahr ist, dass "die ganze Welt vor ihm ist wie ein Stäubchen auf der Waage, wie ein Tautropfen, der am Morgen zur Erde fällt"!

Dafür haben wir ja heute ein Gespür, wenn wir unsere Welt, d. h. unsere Erde betrachten in der schier endlosen Weite des Alls! Nicht nur "Wer weiß, ob...?", sondern: "Wer will sich unterstehen anzunehmen, dass wir der einzige bewohnte Planet sind?  Was aber ist dann mit unserer Religion, mit unserem Glauben an einen Gott, der Mensch geworden ist - ausgerechnet auf diesem Kugerl, das unsere Erde darstellt?"

 

Wenn das mit dem "Stäubchen an der Waage" wahr ist, dann gilt es aber nicht nur von unserer Erde, sondern vom ganzen Weltall! Und auch dann noch ist die Frage zu stellen: Was will Er? Was hat Er davon? Warum tut Er sich das an? Das ist die Grundfrage überhaupt des Glaubens und des Lebens. Wenn Gott Gott ist, wenn es diesen Gott gibt, den wir mit der Bibel bekennen, dann erst recht ist der Erklärungsbedarf groß!

 

Eher fast noch wäre eine Welt anzunehmen, die aus sich selbst entstanden ist oder immer schon existiert, letztlich dumpf und sinnlos. Vielen erscheint sie ja tatsächlich denkbarer als dieser große Gott, der vollkommen in sich ruht, mit sich eins ist und nichts außerhalb seiner nötig hat, vor dem wir alle und diese ganze Welt in jeder Beziehung "überflüssig" sind, und der sie dennoch geschaffen hätte - mit all den grausamen Sinnlosigkeiten, die wir dann ja ihm anlasten müssten; Bis hin zu einer Gesellschaftsstruktur, in der ein verachteter kleinwüchsiger Jude mit Namen Sakkai - Verkürzung aus dem erhabeneren  "Sacharja" - sich für sein dann eben gottgegebenes Schicksal an seinen Volksgenossen rächt!

 

Ich greife nochmals das Wort "überflüssig" auf: Ja, wenn Gott Gott ist und sich also selbst genügt von Ewigkeit zu Ewigkeit, dann ist die Welt wirklich überflüssig! Das Wort sagt alles. Und noch das Wesentliche darüber hinaus: Der christliche Glaube hat nämlich letztlich nur diesen einzigen Zugang gefunden zum Phänomen Schöpfung: dass sie aus dem "Überfluss" kommt, aus der überfließenden - und das ist ein Bekenntnis: - Gutheit  Gottes! "Bonum est diffusivum sui" sagen die scholastischen Philosophen: Das Gute will sich ausbreiten, mitteilen, ohne jeden Zwang - und dennoch geradezu notwendig!

 

Wer will wissen, wann die Stunde des Zachäus für den und jenen, für die und jene schlägt? Wer will wissen, wie viel unschuldiges oder auch schuldiges Blut noch vergossen wird, bis die Opfer des Fanatismus - zu denen ja auch die Täter gehören! - der Gerechtigkeit und Liebe begegnen? Wer will wissen, wann und durch wen Gott, der Freund allen Lebens, auch uns ChristInnen aller Kirchen so begegnet, dass wir befreit sind von aller Angst um uns, um unsere nationale oder kirchliche "Identität" und um alles andere, das uns einengt, und wir uns wandeln können nach dem Bild dieses Gottes, für das uns allen Jesus, der "Freund der Zöllner und Sünder", bis ans Ende Vor-Bild bleiben wird.